Abwehrmechanismen - (c) 2023 O. Mack - xm-institutute - All rights reserved!Organisationale Sachaufgabe und Emotionen

Die klassische Betriebswirtschaftslehre fokussiert traditionell vorrangig auf die Primäraufgabe einer Organisation. Hierunter werden die originären Leistungsziele der Organisation, wie auch die monetären Ziele der Organisation verstanden. Dass dies zu kurz greift, ist seit langem bekannt und wird von anderen psychologie- und soziologienahen Organisationsansätzen aufgegriffen. 

So betrachtet die Tradition der Forschung des Travistock Institutes neben der Sachaufgabe als Primärziel einer Organisation auch die emotionale Seite der Organisationen: Durch die Arbeitsprozesse können positive, wie negative Emotionen bei den handelnden Personen freigesetzt werden. Diese haben direkten Einfluss auf die Arbeitsergebnisse und wirken ebenso auf die Art und Weise der Zusammenarbeit zurück (Giernalczyk/ Möller, 2018).

Für Berater wie Führungskräfte ist dies insbesondere interessant, da die Abwehrmechanismen einen positiven wie negativen Effekt haben können.

Abwehr unangenehmer Emotionen

Eine interessante Frage ist, in welcher Form unangenehme Emotionen bei der Arbeit von Individuen, Teams oder Organisationen als Ganzes abgewehrt werden. Das Konzept der Abwehrmechanismen entstammt dabei aus der Psychoanalyse Freuds. “Als Abwehrmechanismus werden psychische Vorgänge bezeichnet, die den Zweck haben, mit- einander in Konflikt stehende psychische Tendenzen (Triebe, Wünsche, Motive, Werte) mental so zu bewältigen bzw. zu kompensieren, dass die resultierende seelische Verfassung konfliktfreier ist. Sie dienen zunächst einmal dem Schutz des Individuums und sichern sein psychisches Gleichgewicht.” (Möller et al. 2018)

Dabei kann zwischen individuelle Abwehrmechanismen, Mechanismen auf Teamebene und auf Organisationsebene unterschieden werden.

Individuelle Abwehrmechanismen

Auf Einzelpersonen Ebene wurden zahlreiche Abwehrmechanismen in der Wissenschaft identifiziert und diskutiert. Wichtige ausgewählte Mechanismen zur Abwehr sind bspw.:

  • Verdrängung: Erinnerungen, Fantasien oder Realitätsaspekte werden unbewusst gemacht, um sie zu verarbeiten. – “Ich habe nicht mitbekommen, dass er mich beleidigt hat. Wann soll das gewesen sein?”
  • Intellektualisierung und Rationalisierung: Emotionale Aspekte werden vorwiegend formal behandelt und so Emotionen generalisiert oder minimiert. Oder aber Verhaltensweisen werden im Nachhinein gerechtfertigt. – “Wir müssen dies im Sinne des Unternehmens so machen, auch wenn es der eine oder andere nicht gut findet. Wir sind es der Sache schuldig!”  “Ich habe mich nicht auf die Stelle beworben, da diese Position eh für mich nicht interessant gewesen wäre.”
  • Affektualisierung: Eine Überdramatisierung/ -emotionalisierung, die über der Sachaufgabe steht. – “Wenn die Mitarbeitenden nicht glücklich sind und wir uns alle lieb haben, können wir auch keine Kundenleistung erbringen.”
  • Regression: In einer belastenden Situation erfolgt ein Rückzug in eine frühere Stufe der Persönlichkeitsentwicklung.   Trotzige oder weinerliche Reaktion, Rückzug.
  • Ungeschehen machen: “Unerlaubte” Worte, Gedanken, Impulse, die kurzzeitig im Bewusstsein auftauchen, werden durch einen extremen Gegensatz überkompensiert. – auf Schimpftirade mit Beleidigung folgt eine Einladung zum Essen oder Gehaltserhöhung.
  • Entwertung: Eine Entwertung des Gegenübers, um selbst das Gefühl von Abhängigkeit oder Neid nicht zu spüren. – KollegInnen, Peers oder Vorgesetzte werden bewusst abgewertet.
  • Verschiebung: Verlegung der Wünsche, Gefühle und Befürchtungen auf andere. – Nach einem unangenehmen Gespräch mit meinem Chef lasse ich meine Wut im nächsten Meeting an meinen Mitarbeitenden aus.
  • Agieren: Spontanes ungefiltertes nach Außen kehren der inneren Welt. – Während des Meetings schreit eine Person: “Mich kotzt das alles hier an!”
  • Somatisierung: Flucht in die Krankheit statt Austragen eines Konflikts. – Anstelle im Büro einen Konflikt auszutragen oder an einem schwierigen Meeting teilzunehmen ‘wählt’ der Betroffene den Darminfekt.
  • Spaltung: Zunehmendes Schwarz-Weiß-Denken. – “Entweder ist sie mein Freund oder mein Feind!”
  • Verleumdung: Ein Sachverhalt wird negiert, in dem Umfeldveränderungen als nicht rational erlebt oder nicht emotional anerkannt werden. – “Ich sehe nicht, dass sich hier irgendjemand unsicher fühlt. Ich mache weiter wie bisher.”; “Warum soll ich mehr kommunizieren, ich kommuniziere doch andauernd.”

Eine vollständige Erörterung aller individuellen Abwehrmechanismen findet sich bei Möller et al. (2018).

Abwehrmechanismen auf Team- und Gruppenebene

Die Bekannteste Form des Abwehrmechanismus auf Gruppenebene ist wohl das Groupthink Phänomen. Dieses bereits in den 1970er Jahren durch Irving Janis (1972) bekannt gemachte Phänomen bezeichnet das Verhalten eines Einzelnen sich in einer Gruppe der Gruppenmeinung anzuschließen, obwohl man eine davon abweichende Meinung hat.

Interessant sind auch weitere durch Bion (1990) beschriebene Abwehrmechanismen (Giernalczyk/ Möller, 2018): 

  • Kampf-Flucht: Ideen werden im Team immer sofort in Frage gestellt oder kritisiert. Der Fokus liegt auf der eigenen Behauptung oder Verteidigung und nicht auf der Sachfrage. Jeder kann im Verlauf des Gesprächs zum Gegner des anderen werden. 
  • Abhängigkeit: Der Gruppen- oder Team-Leitung wird blind gefolgt, ohne etwas kritisch zu hinterfragen.
  • Paarbildung: In einer Gruppe bildet sich ein Paar von zwei eingeschworenen Partnern, die die Lösungen für alle Probleme kennen.
  • Fokus auf innere Organisationsrealität: Hierbei wird, anstelle gemeinsam auf die Sachprobleme zu fokussieren, der “Feind” im Inneren gesucht – die Führungskraft als Feindbild, gegen die man sich zusammenschließt. Dieses Feindbild verspricht mehr Kontrolle als über die äußeren Umfeldvariablen und schafft so die Illusion der besseren Kontrolle. Die komplementäre Abwehr der Führung in solchen Fällen zeigt sich häufig dadurch, dass eigene hoffnungslose, passive, ängstliche und kritische Anteile abgespalten und auf Teammitglieder projiziert werden. Dies hilft der Führungskraft, sich nach “oben” hin sicher zu fühlen, allerdings auf Kosten des Vertrauens in die Ressourcen der Mitarbeitenden. (Giernalczyk/ Möller, 2018) 
  • Idealisierung von Geschwindigkeit: Dieser Abwehrmechanismus stellt schnelle Prozesse konsequent über die Güte von Prozessen, ich dann, wenn die Geschwindigkeit in keinerlei Verhältnis zu Tragweite und Komplexität der Entscheidung steht.
  • Spaltung: Wie oben erwähnt erfolgt hierbei ein zunehmendes Schwarz-weiß Denken, bei dem Gutes durch die Bekämpfung von Schlechtem geschätzt werden muss.

Abwehrmechanismen auf Organisationsebene

Abschließend finden sich auch auf Organisationsebene zahlreiche Abwehrmechanismen, wie (Möller et al., 2018): Bagatellisierung, Daramatisierung, Verleugnung, Idealisierung und Entwertung, Affektisolierung, Emotionalisierung oder Rationalisierung.

Umgang mit Abwehrmechanismen

Die dargestellten Abwehrmechanismen treten im Alltag mal mehr mal weniger in Erscheinung. Im Normalfall ist es hilfreich, durch regelmäßige individuelle Reflexion als Führungskraft oder aber Reflexion auf Teamebene dysfunktionale Abwehrmechanismen aufzuspüren und zu entschärfen. Da diese allerdings eine Schutzfunktion für das Individuum bzw. das Team haben, ist dies nicht immer einfach zu bewerkstelligen. So braucht es aus unserer Erfahrung heraus entweder den schrittweisen vorab gestalteten Aufbau psychologischer Sicherheit in Team und Organisation (Siehe hierzu auch unsere Blogbeiträge zur psychologischen Sicherheit – 1,2) oder aber professionelle Reflexionsunterstützung durch einen Individual- oder Teamcoach. Dieser kann helfen, in entsprechenden Settings dysfunktionale Abwehrmechanismen aufzudecken und gemeinsam Ansätze und Lösungen im Umgang mit diesen zu finden.

 

Referenzen

Bion, W. R. (1961/1990). Erfahrungen in Gruppen und andere Schriften. Frankfurt a. M.: Fischer. 

Giernalczik, T./ Möller, H. (2018). Entwicklungsraum. Vandenhoeck & Rupprecht: Göttingen.

Janis, I. L. (1972). Victims of groupthink: A psychological study of foreign-policy decisions and fiascoes. Boston, MA: Houghton Mifflin.

Lohmer, M., & Möller, H. (2014). Psychoanalyse in Organisationen. Stuttgart: Kohlhammer. 

Möller, H., Giernalczyk, T., Hinn, D. (2018). Individuelle und kollektive Abwehrmechanismen im Coaching. In: Greif, S., Möller, H., Scholl, W. (eds) Handbuch Schlüsselkonzepte im Coaching. Springer Reference Psychologie . Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-49483-7_28