Lakeit Gergs Agilität braucht Stabilität Ambidextrie Rezension xm-institute Oliver Mack Heute gehts um das bereits im Dezember 2020 erschienene Buch Zum Thema „Ambidextrie“. Beide Autoren kenne ich persönlich, mit Arne Lakeit habe ich bereits zusammengearbeitet. Umso mehr habe ich mich gefreut, als mir dieser das Buch für eine Rezension zur Verfügung gestellt hat. Ich war umso neugieriger, da es wenig Konkret-Handfestes und wirklich Nützliches im deutschsprachigen Raum zu diesem Thema gibt. Wir haben versucht, diese Lücke am xm-institute mit einer Artikelserie auf dem Blog (Link) und verschiedenen Projekten mit unseren Klienten und Partnern ebenso anzugehen, so dass ich sehr neugierig auf die Sichtweise von Gergs und Lakeit war. Das Buch ist bei Schäffer-Poeschel erschienen und umfasst rund 215 Seiten. Es gliedert sich neben einer Einleitung in vier Hauptkapitel, ein Schlusswort und eine Toolbox, die inzwischen in vielen Büchern state-ofthe-art zu sein scheint. 

Steigen wir gleich in das erste Hauptkapitel, Kapitel 2, ein: Hier sammeln die Autoren unter dem Titel „Die Herausforderung: Erfolgreich im Zeitalter der Disruption“ bekannte und weniger bekannte Beispiele zum Thema Wandel, Digitalisierung, Innovators Dilemma. Eine sehr schön aufbereitete Sammlung, mit der war andere Bücher aktuell auch häufig starten, aber hier in einer meines Erachtens sehr guten Art und Weise dargeboten. Das Kapitel schließt mit einem Exkurs zur Frage der Schwierigkeit, mit alten Denkmustern zu brechen und stellt hierzu aktuelle Forschungsergebnisse zur Kompetenzfalle, Kompetenzillusion, Verlustaversion und dem Escalating Committment dar. Ein schöner Start, der Lust auf mehr macht. Das Kapitel endet, wie jedes mit einem Verweis auf passende Tools aus der Toolbox, zu der ich später nochmals detaillierter zurückkomme.

Im dritten Kapitel geht es dann ums „neue Denken: Agilität braucht Stabilität“. Dieses Kapitel, wie auch das letzte und das folgende werden von Arne Lakeit mit einem Anschnitt unter der Überschrift „Aus meiner Sicht…“ eingeleitet. Hier teilt der Co-Autor seine Gedanken zum folgenden Themenkomplex und leitet so in praktischer Art und Weise mit dem Blick einer langjährigen Führungskraft das Thema ein. Wie bereits im vorherigen Kapitel zitieren die Autoren viele Ergebnisse empirischer Erfolgsfaktorenforschung, auf die sie ihre Argumentation bauen. Nach der ersten Einleitung folgt ein erstes Kapitel zum sogenannten AGIL Schema von Talcott Parsons, einem Soziologen, der dieses im Rahmen seiner Strukturationstheorie in den 1950er Jahren entwickelt hat. Auf dieses wird zunehmend in der agilen Community aktuell häufig fälschlicherweise Bezug genommen. Die 4 Buchstaben führen jedoch in die Irre. Parsons hätte das Schema auch LIGA oder ALGI nennen können, wie auch der Soziologie Stefan Kühl kürzlich in mehreren Statements anmerkte. Auch funktioniert das Wortspiel nur im Deutschen. Das AGIL Schema bildet als soziologisches Modell eine allgemeine dialektische Grundstruktur sozialen Handelns zwischen Öffnung, Schließung, Generalisierung und Spezifikation ab. (So auch Münch, 1982) Schön ist, dass die Autoren das Modell in diesem Sinne hier vorstellen und des ganzheitlichen Charakter des Modells entsprechend betonen. Es beantwortet damit weniger die Frage nach Agilität im Sinne von Veränderung, sondern die übergeordnete Frage, mit welchen Funktionen soziale Systeme über einen Zeitraum existent bleiben. Schön wäre hier ein ergänzender kleiner Exkurs gewesen, der auf diesen Sachverhalt (AGIL <> Agil) noch deutlicher hinweist. Gerade für Leser, die das AGIL Schema nicht kennen. Weiter geht es dann mit der Diskussion von Polaritäten und der Polarity Map. Anschließend folgen auf dem AGIL Schema aufbauende Gedanken zu unterschiedlichen organisationalen Kulturtypen. Auch diese wieder wunderbar praktische theoriefundierte Kapitel, die das Dilemma der Polaritäten beschreibt.

Im Kapitel vier, dem dritten Hauptkapitel gehts um den „Lösungsansatz: Ambidextrie“. Nach der Einleitung von Arne Lakeit wird zunächst der Grundgedanke der Ambidextrie sowie die Vorteilhaftigkeit ihrer Beherrschung (siehe auch hierzu mein Research Bite) vorgestellt. Daraufhin folgen die drei verschiedenen Grundormen der Ambidextrie – sequentielle, strukturelle und kontextuelle Ambidextrie (siehe hierzu vertiefend auch mein Blogbeitrag).

In einem nächsten Schritt wird Führung als wichtige Grundlage von Ambidextrie vorgestellt. Dem folge ich gerne, auch wenn ich mir hier, gerade aufgrund der aktuellen Diskussion zur stärkeren Selbstorganisation eine differenziertere Betrachtung von Führungsaufgabe und Führungskraft gewünscht hätte. Dies wird zwar angedeutet, aber nicht vertieft. Die Autoren entwickeln dann fünf Prinzipien für ambidextre Führung, die unter anderem verschiedene Rollenbilder auf das AGIL Schema projiziert. Eine schöne und nützliche Idee, wie ich finde. Es geht dann weiter mit der Übertragung der Idee auf von den Autoren so bezeichnete „Ambidextriematrix, aus den bekannten Dimensionen Sachlich, personell, kulturell auf der einen Achse und Vision/Strategie, Führung und Prozesse/ Struktur auf der anderen Achse. In dieser 3×3 Matrix diskutieren Gergs/ Lakeit gezielt ambidextriebezogene Fragestellungen. Es folgt das vierte Unterkapitel „Logik des Gelingens – wie Ambidextrie erfolgreich gelebt werden kann“. Hierzu spielen die Autoren verschiedene Ideen als Fallstudien anhand von zwei Unternehmen durch, IBM und Amazon. Das letzte Kapitel stammt aus der Feder von Gastautoren und beschäftigt sich mit dem Versuch der Messung von Ambidextrie. Es wird ein skalenbasierter Fragebogen auf den drei Ebenen Gesamtorganisation, Bereich, Individuum.

Das fünfte Kapitel bzw. vierte Hauptkapitel ist mit „Die Praxis – Fallbeispiele zur Umsetzung von Ambidextrie“ überschrieben. Hier haben die Autoren weitere Gastautor*innen eingeladen, aktuelle Unternehmensbeispiele zu beschrieben, die auf verschiedene Weise die Ambidextriefähigkeit zu stärken versuchen. Es gibt hier Beispiele von Siemens Healthineers, DATEV, Audi Consulting, einer Bankengruppe, CLAAS Landmaschinen, MaibornWolff und Celonis. Ein nützliches Kapitel mit Einblicken und Ideen unterschiedlichster Breite und Tiefe.

Die Autoren runden das Buch mit einer Schlussbetrachtung und der bereits erwähnten ebenfalls sehr nützlichen Toolbox ab. Hinter dieser verbirgt sich eine Sammlung von 12 Tools, die bei der Arbeit an der Ambidextriefähigkeit hilfreich sein können. Hier werden im Buch bereits angesprochene, aber auch neue Tools zusammengetragen und vertieft.

Alles in allem ein uneingeschränkt empfehlenswertes Buch zu diesem Themenkomplex. Berater*innen, wie Führungskräfte oder Interessierte finden hier neben Basiswissen zum Thema Ambidextrie viele praktische Konzepte und Ideen für die Umsetzung. Auch wenn Ambidextrie eigentlich „gutes Management“ beschreibt, lohnt es sich doch hie und da einmal den Fokus auf das damit verbundene Spannungsverhältnis und balancierte Miteinander zwischen Explore und Exploit zu legen. Doch auch bei dieser wirklich uneingeschränkten Leseempfehlung sein mit einem kleinen Augenzwinkern auch bei diesem Buch eine kleine Anmerkung meinerseits erlaubt: Wie viele Bücher folgt auch dieses der amerikanischen Logik, mit der Erfolgsfaktorenforschung zu starten, und dann die eigenen Thesen mit entsprechenden Forschungsergebnissen zu untermauern. Dies kann dazu verleiten, auch bei komplexen Fragestellungen und Sachverhalten in ein zu vereinfachendes Ursache-Wirkungsdenken zurückzufallen, den konkreten Kontext außer Acht zu lassen und mit klassischen „best-practice“ Ansätzen zu agieren. Dies wird nur in relativ stabilen Kontexten der Situation gerecht. Das Buch will mit seinem Inhalt gerade dies nicht, auch die Autoren wollen dies, wie ich sie kenne nicht. Doch wird hierdurch deutlich, wie schwierig es ist, sich aus unserer klassischen Linearitätslogik vollständig zu lösen und den Paradoxiegedanken selbstreferenziell konsequent anzuwenden; wünschen sich doch auch viele Führungskräfte noch immer die „einfache“ Lösung für komplexe Themenstellungen. ;-) 

Glückwunsch zum sehr gelungenen und sehr lesenswerten Buch, lieber Arne und lieber Herr Gergs. Es war mir wirklich ein Vergnügen, es zu lesen.

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Gergs, H. J., & Lakeit, A. (2020). Agilität braucht Stabilität: Mit Ambidextrie Neues schaffen und Bewährtes bewahren. Schäffer-Poeschel.


Weitere erwähnte Quelle: Münch, R. (1982). Bassale Soziologie – Soziologie der Politik, Opladen: Westdeutscher Verlag, 1982.

Anmerkung zur Transparenz: Das Buch wurde dem Autor dieses Artikels von den Autoren kostenlos zur Rezension zur Verfügung gestellt. Die Meinung des Autors ist hiervon jedoch nicht beeinflusst.