Begriff Komplexität Thought Bite - Cynefin - Weaver - xm-institute - Dr. Oliver MackDie Definition von Komplexität erweist sich selbst als komplex. Es gibt vielfältige Beschreibungsversuche mit unterschiedlichsten Aspekten. Eine einheitliche Definition existiert nicht. Im folgenden liste ich daher verschiedene Eigenschaften und Aspekte auf, die Komplexität näher beschreiben.

Generell werden komplexen Systemen folgende Eigenschaften zugeschrieben:

  • Große Anzahl von Elementen und Beziehungen – Feedback Loops: Komplexe Systeme bestehen in der Regel aus vielen Elementen, auch wenn bereits diese Beschreibung eine Setzung erfordert (was wird als Element bezeichnet?). Die Anzahl möglicher Verbindungen zwischen den Elementen steigt mit der Anzahl der Elemente exponentiell. Durch die Vernetzung entstehen Feedback Loops, die keine eindeutigen linearen Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge mehr zulassen.  Dies führt dazu, dass sich komplexe Systeme aufschaukeln (positive Feedback-Loops) und stabilisieren/ dämpfen können (negative Feedback-Loops). Am xm-institute orientieren wir uns bei unserer Arbeit vor allem an der Idee der Verbindungen und weniger an der Idee der Elemente. So sind für die Gestaltung und vor allem Veränderung  komplexer Systeme eher die Verbindungen zwischen den Elementen, als wie die Elemente und deren Eigenschaften selbst von Bedeutung.  
  • Schwierige Grenzziehung und Offenheit: Die Grenzziehung, die das Innen und Außen eines Systems beschreibt, ist nicht immer einfach und eindeutig. Da diese Grenze jedoch die Identität des Systems ausmacht, ist sie von elementarer Bedeutung, besonders in sozialen Systemen. Erst Abgrenzung schafft Verbindung und umgekehrt. Interessant ist auch hierbei eher die Art und Weise und Klarheit der Grenzziehung als die Grenze selbst. Interessante Einblicke hierzu liefert George Spencer Brown mit seiner “Law of Form”. Grenzziehungen werden immer vom Beobachter getroffen und folgen einer bestimmten Intention. Sie sind daher immer subjektiv. Komplexe Systeme sind i.d.R. auch immer in gewissen Elementen offen hin zu ihrer Umwelt.
  • Verschachtelung und Strukturiertheit:  Komplexe Systeme können ineinander verschachtelt sein und so wieder aus komplexen Systemen bestehen. Als schönes Beispiel kann hier der menschliche Organismus dienen, der selbst komplex ist und aus Zellen besteht, die einzeln wiederum als komplexe Systeme verstanden werden können. Am xm-institute sehen wir Organisationen als komplexe Systeme, die wiederum andere komplexe Elemente, wie Teams oder Individuen beinhalten können und mit diesen verkoppelt sind. Topologie innerhalb und zwischen diesen Elementen können sich deutlich unterscheiden (z.B. enge, intensive Kommunikation innerhalb eines Teams und reduzierte, wenige Kommunikationswege zu anderen Teams, etc.). Dies bildet in Form von Netzwerkbeziehungen die Strukturiertheit des Systems ab.
  • Emergenz: Emergenz beschreibt die Möglichkeit, dass sich in einem komplexen System durch das Zusammenspiel der Elemente neue Eigenschaften herausbilden. Sie lassen sich dabei nicht auf die Eigenschaften zurückführen, die den Elementen zu eigen sind. Eigenschaften der Emergenz sind hierbei Irreduzibilität, Unvorhersagbarkeit und Kontextbedingungen. (Wikipedia, 2020)
  • Selbstregulation und Selbstorganisation: Mit der Komplexität verbunden ist auch die Eigenschaft zur Selbstregulation. Dies bedeutet, dass komplexe Systeme in der Lage sind, sich im Innen zu harmonisieren und in eine Art innere Balance oder Gleichgewicht zu kommen. Es lässt sich auch mit einem Art lokalen Gleichgewichtszustand beschreiben. Damit verbunden ist das Merkmal der Selbstorganisation. Dieses beschreibt die Möglichkeit komplexer Systeme stabile Strukturen selbstständig auszubilden (z.B. Homöostase/ Selbststabilisierung), die ihnen dabei helfen, dennoch neue Informationen zu verarbeiten und zu lernen.

Zwei Frameworks zur Einordnung von Komplexität seien hier erwähnt:

  • Warren Weaver, Science and Complexity (1948): Weaver unterscheidet zwischen drei verschiedenen Problemarten: (1) Problems of simplicity, (2) Problems of disorganised complexity und (3) Problems of organised complexity. Erstere sind lt. Weaver “Zwei-Variablen-Probleme”, die sich einfach und mit klaren Ursache-Wirkungsberechnungen lösen lassen. Probleme desorganisierter Komplexität umfassen so viele Elemente und Beziehungen, dass sich keine exakten Ergebnisse mehr berechnen lassen. Hier nutzen wir klassisch die Statistik und Wahrscheinlichkeitsrechnung, um eine Idee von der Struktur und dem Verhalten  eines Systems zu bekommen und so Probleme dieser Art zu lösen. Die dritte Art von Problemen, Weaver bezeichnet diese als Probleme organisierter Komplexität stellen den Zwischenzustand der beiden ersten dar. Systeme dieser Art beinhalten zu viele Elemente, um sie exakt zu berechnen, aber auch zu wenige, um Statistik anwenden zu können. Der gängige Weg, diese Form von Problemen anzugehen war in der Regel der Reduktionismus, die Bearbeitung durch Zerlegung oder Vereinfachung des Problems, durch Ceteris-Paribus-Annahmen oder vereinfachte Modellierung. Es wurde jedoch schnell deutlich, dass dies bei Problemen dieser Art, und dies sind die häufigsten in unseren Umfeldern, selten zum Erfolg führt. Gerade diese Art von Problemen macht deutlich, dass sich die Dynamik und Eigenschaften des Gesamtsystems nicht aus der Summe der Eigenschaften der einzelnen Elemente erklären und beschreiben lassen. Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile und die Einzelteile ergeben nicht das Ganze.
     
  • Dave Snowden, Cynefin (2020): Snowden, dessen Cynefin Typologie 2020 seinen 21. Geburtstag feiert, unterschiedet vier plus 1 Domänen von Problemen/ Themen, die mit Weavers Klassifizierung gut in Einklang stehen und weiter differenzieren. Er unterschiedet zwischen Clear, Complicated, Complex, Chaotic und Confused. Mehr als Warren legt er hierbei den Fokus auf die Übergänge zwischen den einzelnen Domänen und macht so die Dynamik und Subjektivität der Klassifizierung stärker deutlich. Auch beschreibt Snowden verschiedene Praktiken in den einzelnen Domänen, die hier helfen können Themen und Probleme anzugehen. Da das Cynefin Framework an anderer Stelle ausführlicher erläutert wird, sei hier darauf verzichtet. Wir nutzen am xm-institute neben anderen Modellen dieses Framework sehr intensiv. Es erweist sich hierbei als wirksames Framework bei Veränderungs- und Entwicklungsprozessen auf allen Ebenen.

Diese kurze Abhandlung kann nur einen kurzen subjektiven Startpunkt für die weitere Recherche und Reise in das Thema Komplexität bieten. Die Literatur und Theorie ist sehr umfänglich und die Forschung an vielen Stellen bei weitem nicht abgeschlossen und in vollem Gange. In die Theorie von Organisation und die Unternehmenspraxis findet der Komplexitätsbegriff in seiner Unsäglichkeit und Gänze gefühlt erst langsam ausreichenden Einzug. Er hilft uns vor allem dabei, die Welt mit anderen Augen zu sehen und so besser die Transformation, Entwicklung, Veränderung und das Lernen von Organisationen, Teams und Individuen zu verstehen und zu gestalten.

Quellen:

Weaver, W. (1948). “Science and complexity,” in American Scientist, 36: 536-544.

Snowden, D./ Goh, Z. et al. (2020). Cynefin. Cognitive-Edge: Singapore.

Wikipedia (2020). Emergenz. https://de.wikipedia.org/wiki/Emergenz, abgerufen am 03.11.2020.