Great Resignation, Quite Quitting, Tang Ping, Bai Lan, Karoshi - De. Oliver Mack - xm-instituteAls ich letztens am Samstag bei meinem Friseur war, wunderte ich mich nicht schlecht: Wo sonst 15-20 Mitarbeiter sich um ihre Kund*innen kümmerten, war gähnende Leere. Nur die Eigentümerfamilie und 2 Lehrlinge waren im Laden. Auf meine Frage, ob wohl “Ferien seien”, antwortete er, dass seine Friseur*innen nur noch unter der Woche arbeiten wollen. Und nicht nur hier, sondern auch in vielen anderen Branchen spüren wi aktuell den Wandel auf dem Arbeitsmarkt. Wo früher die Arbeitgeber den Ton angaben und die Rahmenbedingungen setzten, definieren nun die Arbeitnehmer*innen die Grenzen. Schon von 30 Jahren im Studium hörten wir von der Wissenschaft den Wandel vom Arbeitgeber- zur Arbeitnehmermarkt – nun ist er da.

Doch trotz New Work Welle lassen sich nicht überall die Arbeitgeber die Rahmenbedingungen von den Arbeitnehmer*innen diktieren. Gerade in Großkonzernen und Familienunternehmen der alten Schule gibt der Chef noch den Ton an – so scheint es zumindest.

Doch blickt man auf die weltweiten Phänomene am Arbeitsmarkt der letzten Jahre, so zeichnen sich unter unterschiedlichen Namen ähnliche Phänomene ab, die sich um Fleiss, harte Arbeit und Durchbeissen ode anders um Dauerstress, Anspannung, Work Life Balance und Burnout drehen:

Japan – Karoshi: Tod durch Überarbeiten

Karoshi, auch als plötzlicher berufsbedingter Tod durch Überarbeitung ist in Japan schon seit Jahrzehnten ein Problem. Stressbedingt sterben immer mehr Menschen durch Herzinfarkt oder Schlaganfall, andere begehen sogar Suizid. Hohe Arbeitszeiten von sechs oder sieben Tagen die Woche mit bis zu 12 Stunden Arbeitszeit über mehrere Jahre hinweg waren keine Seltenheit in der von Fleiss und Disziplin geprägten Gesellschaft. (Wikipedia, 2022a) Inzwischen kümmert sich auch aktiv die Regierung um dieses gesellschaftliche Problem.

Doch auch in anderen Ländern kommt es seit der Covid Pandemie vermehrt zu ähnlichen Phänomenen:

USA – The Great Resignation

Hinter diesem Begriff verbirgt sich das gesellschaftliche Phänomen zum Ende der COVID Pandemie, bei dem immer mehr junge Menschen ihren Job freiwillig kündigten, so dass die Kündigungs- und Arbeitslosenraten in 2020 auf dem Höchststand auf über 3%. Seit dem Start der Messung der Kündigungsraten ab 2021 auf einem Höchststand sind und waren. Als Ursache werden stagnierende Löhne bei steigenden Lebenshaltungskosten, begrenzte Karrierechancen, menschen-unfreundliche und unflexible Arbeitsumgebungen und anhaltende Job-Unzufriedenheit gesehen (Fontanelle, 2022; Morgan, 2022; Wikipedia, 2022b). Viele Arbeitnehmer scheinen in einer Kündigung den einzigen Weg zu sehen, die Kontrolle über ihr Berufs- und Privatleben zurückzugewinnen.(Reketat, 2022)   

 

Weltweit – Quiet Quitting

Eine andere Form mit ähnlichem Hintergrund ist das “Quiet Quitting”. Gesetzt hat diesen Trend ein TikToker Namens Zaid Zeppelin, dessen Video inzwischen fast 4 Mio. Mal geklickt wurde. Sein Motto: “Du kündigst nicht Deinen Job, arbeitest aber nicht mehr, als dein Vertrag vorsieht. Arbeit ist nicht dein Leben, dein Wert als Mensch definiert sich nicht über deine Produktivität.” Es geht somit NICHT um die innere Kündigung, sondern die bewusste und strikte Begrenzung des eigenen Jobs auf die von der Organisation vorgegebenen Rahmenbedingungen. Eine Gallup Studie schätzt sogar 50% der Beschäftigten in den USA als Quiet Quitters ein. (Harter, 2022). Was Führungskräfte oft als “Dienst nach Vorschrift” fürchten und was Beamten häufig schon immer nachgesagt wird, wird so breite Realität.

China – Tang Ping (“Flachliegen”)

Etwas ähnliches lässt sich bereits schon länger in China beobachten, was unter Tang Ping, zu deutsch “Flachliegen” gefast wird. Auch hier streben junge Mitarbeitende ein eher ausgeglicheneres Leben mit einer ausgeglichenen Work-Life-Balance an, um Arbeitsstress abzubauen oder gar ganz zu vermeiden. Tang Ping wird als Lifestyle- oder soziale Protestbewegung gesehen, die sich gegen das 996 Stunden Arbeitssystem in China auflehnt. So reduzieren die Betroffenen ihre Karriereansprüche ebenso wie ihre wirtschaftlichen Ansprüche und ziehen ein bescheideneres und entspannteres Leben einem Leben in Reichtum und Ruhm vor. Von der Partei wird dieses Verhalten als beschämend bezeichnet und an die chinesischen Werte appelliert. (Wikipedia, 2022c)  

China – Bai Lan

Eine weitere Bewegung aus China ist Bai Lan, auf Deutsch: “Lass es verrotten”. Der zunehmende Wohlstand und wachsende Zugang zum Bildungssystem hat den Wettbewerb zwischen Jugendlichen um anspruchsvolle Bürojobs deutlich erhöht. Dies hat, verbunden mit dem Wert des Ehrgeizes erfolgreich sein zu wollen oder zu müssen zu einer zunehmenden Burnout-Rate in China geführt. So erkennen immer mehr Jugendliche, dass sie ihre Ideale nicht erreichen können und diese nun aufgeben. Es ist eine Art Resignation vor der Realität und dem Traum des Aufstiegs und Wohlstands für alle. Steigende Erwartungen aber auch Unsicherheiten erschweren das Umfeld für die junge Generation in China zunehmend, was nicht zuletzt zu Hoffnungslosigkeit führt. Die Arbeitslosenzahlen der Jugendlichen zwischen 16 und 24 sind in China in den Städten auf einen Höchststand von rund 19% angestiegen (Anthony, 2022)

Schauen wir insgesamt auf diese Trends, so werden auch meiner Sicht folgende Aspekte deutlich:

  • Das Ursprungs-Versprechen der Industrialisierung zu Beginn des 19. Jahrhunderts, dass die harte Arbeit in den Fabrikhallen nur vorübergehend ist und die Automatisierung dazu führen wird, wieder mehr Freizeit zu haben, wurde nicht eingelöst. (Arte, 2022)Vielmehr wurde der technologische Fortschritt genutzt, den technischen und wirtschaftlichen Fortschritt der Unternehmen zu Lasten des Individuums zu beschleunigen. Die Kompensation erfolgte vor allem durch Bezahlung und den damit verbundenen vermeintlichen Wohlstandssprung durch Konsum. Nachkriegs- und Aufbauzeiten übertünchten das Problem durch das gemeinsame Anpacken und den Wiederaufbau.
  • Vor allem die junge Generation der traditionellen Industrienationen, die nun in die Organisationen kommt, ist im Wohlstand und einem behüteten Umfeld aufgewachsen. Sie tut sich mit der klassischen Idee des “Lebens um zu arbeiten” zunehmend schwerer, und verfolgt ein “Arbeiten um zu vor allem eins – zu leben”. Einkommen lockt weniger als Zeit für sich, mit Familie und Freunden. Auch scheint die junge Generation nicht mehr so belastbar, wie die älteren Generationen. Zumindest möchten sich jüngeren Generationen Belastungen weniger aussetzen. Sie sehen Chancen, den technologischen und wirtschaftlichen Fortschritt nicht in zunehmendes Konsumwachstum, sondern eher in Belastungsreduktion und Lebensfreude zu investieren.
  • Die breite Front der Arbeitnehmer fügen sich zunehmend weniger in die traditionelle Wirtschaftsordnung des “Arbeite hart und erhalte Wohlstand” ein. Die Gehaltsschere zwischen den Hierarchieebenen in Organisationen wird zunehmend transparenter und zunehmend weniger akzeptiert. Die sozialen Medien trugen weiters ihren Teil dazu bei, dass der eigene Job stärker hinterfragt wird, können doch die “Influencer”-Idole mit scheinbar einfachen Videodrehs in jungen Jahren ein Luxusleben führen, das durch die Werbemedien als erstrebenswert suggeriert wird.  

Doch sind diese Aspekte nur ein vorübergehender Trend? Ältere Generationen werden dem vermutlich mit einem “Wo soll denn das hinführen, wenn keiner mehr arbeiten will?” verneinen. Oder ein bleibendes Phänomen? Junge Generationen werden vielleicht mit “Ich lebe nur einmal (yolo)!” Oder “Wir haben eh keine Zukunft, also leben wir einfach jetzt!” antworten. Und was könnte dies für unser aller Zukunft bedeuten? Gedanken hierzu folgen in Teil 2 dieses Beitrags.

Weitere Beiträge dieser Serie:

Quiet Quitting, Tang Ping, Bai Lan & Co. – Ein vorübergehender Trend oder ein bleibendes Phänomen? (1) – Begriffe

Quiet Quitting, Tang Ping, Bai Lan & Co. – Ein vorübergehender Trend oder ein bleibendes Phänomen? (2) – Temporär oder bleibend?

Quiet Quitting, Tang Ping, Bai Lan & Co. – Ein vorübergehender Trend oder ein bleibendes Phänomen? (3) – Was Führungskräfte tun können?

Quellen:

Arte (2022). Arbeit ohne Sinn. Arte Doku. https://youtu.be/ZtTbbeCzVlw. Received: 20.12.22.

Anthony, Tamara (2022). Ein unaufhörlicher Wettbewerb. Tagesschau Online. https://www.tagesschau.de/ausland/asien/china-jugend-arbeitslosigkeit-101.html. Received: 20.12.2022.

CNBC (2022). ‘Quiet quitting’ was happening in China before the rest of the world caught on. https://youtu.be/lbmH4vHvQKI. received: 20.12.2022.

Fontinelle, Amy (2022). What is the Great Resignation? Causes, Statistics, and Trends. https://www.investopedia.com/the-great-resignation-5199074. Received: 20.12.2022. 

Harter, Jim (2022). Is quiet quitting real?. https://www.gallup.com/workplace/398306/quiet-quitting-real.aspx. Received 20.12.2022.

Klotz, Anthony C./ Bolino, Mark C. (2022). When Quiet Quitting Is Worse Than the Real Thing. HBR Online. https://hbr.org/2022/09/when-quiet-quitting-is-worse-than-the-real-thing. Received: 20.12.2022.

September 15, 2022

Morgan, Kate (2022). “Why workers just won’t stop quitting”. BBC Work Life. Received: 20.12.2022.

Reketat, A. (2022). Great Resignation: Bedeutung, Maßnahmen und Chancen. https://utopia.de/ratgeber/great-resignation-bedeutung-massnahmen-und-chancen/. Received: 20.12.2022.

Wikipedia (2022a). Karoshi. https://de.wikipedia.org/wiki/Karōshi. Received: 20.12.2022.

Wikipedia (2022b). Great Resignation. https://en.wikipedia.org/wiki/Great_Resignation. Received: 20.12.2022.

Wikipedia (2022c). Tang Ping. https://en.wikipedia.org/wiki/Tang_ping. Received: 20.12.2022.