Schattenorganisation - Stefan Kühl - Rezension - Dr. Oliver Mack - xm-instituteHeute geht es um ein neues Buch des Soziologen Stefan Kühl, dessen Buch „Der ganz formale Wahnsinn“ wir hier bereits vorgestellt haben. Und so war ich auch sehr gespannt auf dieses Werk, das als Paperback im campus Verlag erschienen ist und den Untertitel „Agiles Management und ungewollte Bürokratisierung“ trägt.

Das Buch umfasst gut 143 Seiten und davon gut 20 Seiten umfangreiches Literaturverzeichnis. Der Inhalt des Buchs dreht sich vor allem um die Untersuchung von „Holacracy“, eines postbürokratischen Organisationskonzepts, das von Brian Robertson propagiert wurde und in vielen Teilen auf der Idee der Soziokratie beruht.

Neben vielen beraterischen Erfolgsgeschichten gibt es auch immer wieder Geschichten des Scheiterns mit diesem Konzept. Umso spannender ist die wissenschaftlich-forscherische Beschäftigung mit diesem Thema. Steigen wir also in die Inhalte des Buches ein.

Die Inhalte

Das Buch gliedert sich in sechs Kapitel, die von einem Vorwort, einem Nachwort zur Methodik, Endnoten und einem umfangreichen Literaturverzeichnis eingefasst sind.

  • Im Vorwort weist Kühl bereits kritisch darauf hin, dass viele aktuelle Management- und Organisationskonzepte, die als neu propagiert werden, doch eher bereits Bekanntes in einem neuen Gewandt erscheinen lassen und immer wiederkehren. Auch beschreibt er, was ihn persönlich am „Holacracy“ Konzept so fasziniert hat: Der Versuch extrem detaillierter Formalisierung und Dokumentation von Erwartungen, die der Autor in seinem Buch als „Hyperformalisierung“ bezeichnet.
  • Im Kapitel 1 „Das Interesse an hyperformalisierten Systemen  – Einleitung“ thematisiert dann auch den Begriff der Management-Mode und beschreibt Holacracy von der Idee her genauer als eine Art „Hyperformalisierung“ der Organisation. Auch führt Kühl generell etwas näher in theoretische Optionen der Organisationsgestaltung ein, indem er bei der modernen aktuellen Gestaltung von Organisationen zwischen einem „Modell F“ und einem „Modell I“  unterscheidet. Das Modell „I“ setzt eher auf Informalität. Verhaltenserwartungen in Organisationen bilden sich hier vorrangig auf Basis von Vertrauen informell aus. Auf der anderen Seite steht das „Modell F“, das versucht, durch möglichst genaue Rollendefinitionen möglichst viele Verhaltenserwartungen formal festzulegen. (Kühl, 2023, S. 22f.) Kühl zeigt hier auf, dass in der Vergangenheit bereits beides versucht wurde und sich Holacracy eher beim „Model F“ einordnen lässt. Und so legt er bereits hier den Boden für die vertiefende Analyse der folgenden Kapitel und betont: „Dieses Buch mag insofern ungewöhnlich ein, als es bewusst den Brückenschlag zwischen Organisationswissenschaft und Organisationspraxis besucht, ohne grundsätzliche Spannungen zwischen diesen beiden Bereichen aufheben zu wollen.“ (Kühl, 2023, S. 27).
  • Kapitel 2 „Zur Bauart hyperformalisierter Systeme“ geht zunächst tiefer auf die Elemente von Holacracy und vertieft dann auf Basis einer theoretischen Fundierung die besondere Form der Formalisierung in holokratischen Organisationen.
  • Im Kapitel 3 „Die Renaissance des zweckrationalen Organisationsmodells“ analysiert Kühl die Idee der „zweckrationalen Durchplanen der Organisation“ und damit das „Purpose-Konzept“ und wie dieses in holokratischen Organisationen verwirklicht werden soll. Er beleuchtet dabei die spannende Frage, ob und wie es in der Holacracy gelingen soll, die informelle und Schauseite, die sich sonst so häufig von der formalen Seite der Organisation entkoppelt, in völlige Übereinstimmung zu bringen und so der Versuch gewagt wird, den Einfluss von Kultur und Informalität weitestgehend auszuschalten. Es handelt sich somit um eine „ausgefeiltere Variante des Maschinenmodells der Organisation“. (Kühl, 2023, S. 55)
  • Im Kapitel 4 „Ungewollte Nebenfolgen der Bürokratisierung postbürokratischer Organisationen“ macht Kühl deutlich, dass kein Organisationsmodell ohne Nebenwirkungen auskommt und die Vorteile eines Modells zwangsläufig auch immer eine Negativseite mit sich bringen. Hier vertieft Kühl bspw. „Formalitätsruinen“, „Entzugsmöglichkeiten der Mitarbeitenden durch Rollenvielfalt“ oder die „Reduzierung von Initiativen jenseits der formalen Struktur“ (informelle Motivation und U-Boot-Initiativen). Ebenso geht er auf Nebenwirkungen der starken Formalisierung der Interaktion und die Starrheit der vermeintlich so flexiblen holokratischen Regelungen ein. (Kühl, 2023).
  • Kapitel 5 „Schattenstrukturen – informelle Korrekturmechanismen in holokratischen Organisationen“ beschreibt die auch in dieser Organisationsform unweigerlich einsetzenden Gegenbewegungen im Informellen. So bilden sich auch in dieser Form wieder Schattenstrukturen, wie Pseudo-Abteilungen, Hierarchien und Hinterbühnen aus.
  • Im Kapitel 6 „Vom Aufstieg und Niedergang einer Managementmode“ wird sodann Holacracy als Managementmode vertieft. Neben der Diskussion genereller Aspekte von Managementmoden, deren Erscheinungsformen, Funktionen, Aufblühen und Niedergänge beschrieben werden, wird auch Holacracy in diesem Kontext eingeordnet. 
  • Das Nachwort umfasst einige Worte zur Forschungsmethodik.

Das Fazit 

Alles in allem wieder ein provokantes, befruchtendes und tiefgründiges Buch zum Thema „Holacracy“. Es wirft einen umfassenden Blick aus organisationstheoretischer und organisationssoziologischer Sicht auf das Organisationskonzept „Holacracy“ und geht weit darüber hinaus, indem es ein grundlegende Verständnis zur Organisationsgestaltung postbürokratischen Couleur vermittelt, das eine Einordnung auch weiterer Organisations- und Management-Methoden und Moden ermöglicht. Stefan Kühl gelingt es auch hier wieder einmal, mit Charme und gut lesbarer und unterhaltsamer Sprache ein Thema wissenschaftlich in der Form aufzugreifen, dass es auch Praktikern hilft. So sei das Buch neben Unternehmen, die auf Holacracy setzen vor allem BeraterInnen, OrganisationsentwicklerInnen und Organisationswissenschaftlern empfohlen. Auch theorieinteressierte Führungskräfte finden in diesem Werk zahlreiche Ideen und Gedanken zur Gestaltung und Weiterentwicklung der Organisation in postbürokratische Strukturen. Ein wichtiges Learning sollten alle LeserInnen aus diesem Buch mitnehmen: Vorteile eines Organisationskonzepts kommen immer auch gepaart mit Nachteilen. Schaut man nur auf die helle Seite der doch so neuen Konzepte, schlägt spätestens nach der Implementierung die dunkle Seite zurück.

Mit hat das Lesen jedenfalls wieder einmal sehr viel Freude bereitet.

Kühl, Stefan. (2023). Schattenorganisation. Campus Verlag: Frankfurt/ New York.

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Anmerkung zur Transparenz: Das Buch wurde dem Autor dieses Artikels vom Verlag kostenlos zur Rezension zur Verfügung gestellt. Die Meinung des Autors ist hiervon jedoch nicht beeinflusst.