Das Buch und die Autorin

formatio naturalis Sybs Bauer - Rezension - Dr. Oliver Mack - xm-instituteDas heutige Buch “formatio naturalis” ist mit dem Untertitel “Auf den Spuren der Gestaltungskunst der Natur und was wir von ihr lernen können” gekennzeichnet. So scheint es, als reihe es sich in die sich mit Bionik beschäftigen, der Frage nach der Übertragung Funktionalitäten aus der Natur auf die Technik. Doch weit gefehlt: Die Autorin Sybs Bauer ist Designerin. Das Buch stellt, wie sie im Dankeswort am Ende des Buches beschreibt, ihre Beschäftigung mit dem Thema im Rahmen ihrer Dissertation an der TU München im Fachbereich Industriedesign dar. Und wie soll man es in Gänze beschreiben, es verbindet in einem Streifzug durch die Naturwissenschaften den aktuellen Stand des Wissens mit der Frage nach den Lehren hieraus für Kreativität, Schaffenskraft, Arbeit und Leben an sich.

Das Buch ist schön gestaltet und gesetzt und wundervoll durch Skizzen der Autorin auf Basis von Fotographien illustriert. Die rund 275 Seiten beinhalten neben einem Vorwort, einem Endnoten- und Quellenverzeichnis eine Danksagung und einen kurzen Lebenslauf von Sybs Becker. Nach einer handwerklichen Ausbildung diplomierte sie als Industriedesignerin und erweiterte ihr Wissen durch Stipendien und Stationen im In- und Ausland. Heute wirkt sie als Designerin und Beraterin in Hamburg.

Die Inhalte

Doch gehen wir gleich in die Inhalte ihres ungewöhnlichen Buches, das in drei Hauptkapitel unterteilt ist: Aus der Natur, der Mensch und Formatio Naturalis.

Die ersten beiden Kapitel wagen einen Rundumschlag zum aktuellen Wissen aus den Naturwissenschaften zum Thema Natur und Mensch.

  • Das Kapitel „Aus der Natur“ startet mit dem Thema „Zellen“ und beschreibt die Funktionsweise dieser kleinen lebendigen Einheit. Haben wir in der Schule noch die Zelle als Zellkern und Membrane kennengelernt, sind wir inzwischen schauer und verstehen Zellen mit inzwischen über 20 Bestandteilen als wahre Wunderwerke der Natur, in denen verschiedenste Komponenten kooperativ zusammenwirken. 
  • Weiter geht es mit der Funktionsweise von  „Genen“. 
  • In einem dritten, zwischengeschobenen Kurzkapitel „Gaia“ geht es um Margulis/ Lovelocks These, dass auch die gesamte Erde als Lebewesen verstanden werden kann und somit den Menschen nicht mehr ins Zentrum der Betrachtung stellt. Ganz dem Astrophysikerwitz folgend, bei dem sich zwei Planeten unterhalten und der eine verschnupft zum anderen sagt: „Du, ich habe Mensch!“ Und der zweiter erwidert: „Keine Sorge, das geht auch vorbei!“. 
  • Im vierten Unterkapitel gehts um das Thema Morphologie in der Natur und damit die Frage nach der natürlichen Form. Die Autorin startet mit der Fibonacci Reihe und deren Verbindung zum goldenen Schnitt. Hier arbeitet sie, auch wenn sie dies sogar wörtlich zitiert, aus meiner Sicht etwas unsauber bzw. uneindeutig, wenn sie diese Verbindung erläutert, zumindest nach meinem Wissen. Doch dies tut der dahinter liegenden Tatsache keinen Abbruch, dass sich natürliche Formen oft ihrer Form am goldenen Schnitt und der Fibonacci-Reihe orientiert. Natürliche Formaspekte wie Symmetrien, Spiralen, Fraktale, Muster, Farben und die Visualisierung von Tönen folgen. 
  • Das fünfte und letzte Unterkapitel ist mit Raum und Zeit überschrieben und trägt aktuelle Erkenntnisse zu von Einstein bis hin zur Quantenphysik zusammen.

Der zweite Hauptteil „Mensch“ betrachtet nun das Wunderwesen Mensch aus verschiedenen Perspektiven:

  • Unter „Homo Inscuius“ steigt die Autorin mit dem Blick auf den Menschen ein, der sich in seiner Geschichte zunehmend von der Natur trennt und sich über sie stellt. ” Die Folge ist, dass der Mensch sein Verständnis, selbst Natur zu sein und die darin liegenden innige Verbindung verliert oder nicht findet, obwohl die Physik und Psychologie diese Erkenntnis immer und immer wieder bestätigen. Es ist also dringend notwendig, eine anerkannte inkludierende Definition für den Begriff Natur, in der sich der Mensch als Teil des Ganzen erleben kann, zu suchen.“ (Bauer, 2022, 102) Die Autorin beschreibt die zu unrecht noch immer vorhandene Überbetonung des Gehirns, wenn es um menschliches Denken und Fühlen geht, bei dem auch der Darm und sogar das Herz eine wichtige Rolle spielen. Das Gehirn ist nur ein Teil unseres faszinierenden Nervensystems. Die Funktionsweise von Nervenzellen und das menschliche Bild von Raum und Zeit schließen diesen Teil ab.
  • Im 2. Unterkapitel geht es um unsere Sinne und Sinneswahrnehmungen. Neben den weitläufig bekannten fünf VAKOG-Sinnen (visuell, auditiv, kinästhetisch, olfaktorisch und gustatorisch erweitert Bauer den Blick bis auf 10 Sinne, die gerade in Diskussion und Erforschung sind.
  • Das etwas irritierend überschriebene dritte Unterkapitel „Gestörte“ beschäftigt sich mit der Frage, was kreative Menschen ausmacht und der „psychologischen Zeit“ von Eckhart Tolle, der hiermit deutlich macht, dass Entscheidungen im Hier und Jetzt immer mit vergangenen Erlebnissen und zukünftigen Erwartungen verbunden sind. Dieser Teil betont stark auch die Archetypenlehre nach C.G. Jung. Spannend hierbei ist die Frage nach dem „Oder“, das als „sowohl als auch“ auftaucht, und hervorragend zum möglichkeitserweiternden Bild des Tetralemmas passt, das wir hier am xm-institute, übernommen vom SySt Institute (Matthias Varga von Kibéd und Insa Sparrer), intensiv nutzen. Auch ein Ausflug zum Wesen der Sprache findet statt und der Teil schließt mit einem Aufruf zum Paradigmenwechsel, der zur anderen Sicht auf die Leere, auf Zwischenräume aufruft. „Die Natur agiert nach dem Oder-im-Sowohl-als-auch-Prinzip. Eine Entscheidung für eine aktive Seite, das Oder, der beiden Komplementaritäten, die, obwohl als Gegensatzpaare begriffen, doch immer gemeinsam als Einheit auftreten. Bei einer Aktion auf der einen Seite ist die andere gleichwertig präsent.“ (Bauer, 2022, S. 153) Es endet mit den Worten: Viele der hier vorgetragenen Thesen zu den natürlichen Prozessen, ihrem Ursprung und der Art natürlich Kreierens mögen unser begrenztes Denken übersteigen. Allerdings bedeutet das Nichtverstehen dieser Zusammenhänge nicht, dass sie grundsätzlich unverständlich sind.“ (Bauer, 2022, 157) Dies beschreibt zumindest ein wenig die Gehirnakrobatik, die die Autorin zumindest in Teilen ihren LeserInnen abfordert. 

Der dritte Hauptteil geht hierzu noch einen Schritt weiter und ist mit „formatio naturalis“ überschrieben – dem natürlichen Kreieren. Dieser Teil versucht sich an einem Transfer des bisher gesagten in die Welt der Gestaltung, die Welt der Organisation und auch die Welt des Individuums. Die Autorin generiert hierzu auf jeder dieser Ebenen Ideen und Handlungsempfehlungen, wie sie eine Übertragung der natürlichen Prinzipien auf eine „natürliche Gestaltung“ sieht. Mit der Zelle als Vorbild geht es um Arbeitsteilung und Kooperation, um das stetige sowohl als auch anstelle eines entweder-oder. Neben Ideen zu gestalterischen Kreativprozessen wagt sie sich auch an Ideen zur Organisationsgestaltung, zur Führung und zum Thema Veränderung in Unternehmen. Auch auf der Individualebene sieht sie durch Coaching, Besinnung und Kommunikation Wege, sich wieder stärker der Natur anzunehmen oder sich wieder als Teil dieser zu verstehen. Der Teil schließt mit der Frage nach den Grenzen. „Je mehr ich verstehe, desto unbegreifbarer wird die Natur für mich. Dafür weitet sich meine Bewunderung und Ehrfurcht angesichts ihrer Intelligenz und Weisheit grenzenlos aus. Es bleibt nicht aus, dass auch mein eigenes Sein an Würdigung gewinnt. Ich fühle mich klein und groß zugleich, wissend und nichtwissend und bin voller Demut, in die sich freudige Erleichterung mischt. geben. (…) Ich wünsche mir, dass die Naturwissenschaften und die Kreativ- und Designbranche im Bewusstsein der faszinierenden Trias, der Einheit der Komplementaritäten, Fachwissen und Sein, und ihrer energiegeladenen Interaktionen, den lebendigen Wechselwirkungen, näher zusammenrücken und in der Freiheit der Kunst zu einem alten holistischen Naturverständnis zurückfinden, damit etwas Neues entstehen kann. Denn kein sozialer Wandel, ob auf regionaler, nationaler oder globaler Ebene, kann ohne eine Bewusstseinsveränderung gelingen.“ (Bauer, 2022)

Fazit

Man merkt dem Buch beim Lesen die Faszination und und Neugier an, von der Sybs Bauer angetrieben ist. Das Buch scheint weit mehr, als eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Natur und Design, es erscheint mir als echte Herzensangelegenheit. Immer wieder sprüht es von Euphorie bei dem der eigene Lern- und Entwicklungsprozess der Autorin immer wieder durchscheint. Und von den individuellen Erkenntnissen, die sie aus der Beschäftigung mit den naturwissenschaftlichen Themen zieht.

Mit hat das Lesen des Buches sehr viel Freude bereitet. Es bietet dem interessierten Leser einerseits einen guten und leicht verständlichen Abriss zu aktuellen Themen der Naturwissenschaft, wie auch viele Denkanstöße, die aus diesen heraus für andere Bereiche, wie Design, Kreativität, Organisation und Führung aber auch individuelle Entwicklung resultieren. Auch wenn man nicht immer zu den selben Schlüssen kommt, macht es dennoch Freude, auf den Pfaden der Gedanken von Sybs Bauer mitzuwandern. Doch auch ein wenig konstruktive Kritik bei allem Lob sei erlaubt: Im Bereich der menschlichen Psyche hätte ich mir andere Fundierungen als C.G. Jung und seine analytische Psychologie gewünscht, da diese im Gegensatz zu den naturwissenschaftlichen Quellen doch bereits etwas in die Jahre gekommen ist. Hier hätten aktuellere Ansätze das Bild ebenso gut abrunden können. Doch bin ich mir durchaus auch der Leistung bewusst, die ein Buch dieser Breite erfordert und so sei dies nur am Rande erwähnt und es darf darauf hingewiesen werden, dass dies die uneingeschränkte Leseempfehlung von mir in feinster Weise schmälert.

Bauer, Sybs. (2022). Formatio Naturalis. Kaeedition: Hamburg.

Das Buch gibts auch direkt bei der Autorin unter: https://designkunst.com/formatio-naturalis/

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Anmerkung zur Transparenz: Das Buch wurde dem Autor dieses Artikels von der Autorin kostenlos zur Rezension zur Verfügung gestellt. Die Meinung des Autors ist hiervon jedoch nicht beeinflusst.