Flow@Work - Frederike Fabritius - Rezension - Dr. Oliver Mack - xm-instituteDie Autorin und das Buch

Das heutige Buch ist gerade bei Campus erschienen und trägt den Untertitel “Gehirngerecht führen – die besten Leute gewinnen und halten”. Ein hoffnungsfroh anmutender Satz bei der aktuellen Lage am Arbeitsmarkt, in dem sich in einigen Branchen immer mehr Unternehmen schwer tun, Mitarbeiter zu finden und an das eigene Unternehmen zu binden. Umso gespannter bin ich.

Die Autorin ist studierte Neuropsychologie und arbeitete am Max Planck Institut für Hirnforschung in Frankfurt, bevor sie dann als Beraterin 2 Jahre bei McKinsey und 7 Jahre bei der Munich Leadership Group beschäftigt war. Seit knapp 6 Jahren ist sie als Autorin und Keynote Speaker im Bereich Neuroscience unterwegs uns sitzt seit zwei Jahren im Beirat der Deutschen Akademie für Technikwissenschaften. Sie spricht 6 Sprachen und hat fünf Kinder. Also nicht nur geballte Kompetenz, sondern eine Power-Frau durch und durch.

Das Buch verspricht laut Einleitung ein praxisbewährtes Modell auf wissenschaftlicher Grundlage, das “den kommenden Massenexodus von hoch qualifizierten Fachkräften abwenden und den Kampf um die besten Köpfe gewinnen” (Fabritius, 2022)  wollen. Das Buch geht dabei einerseits auf das Individuum im Sinne einer “hirngerechten” Lebensweise wie auch einer “hirngerechten” Unternehmens- und Arbeitskultur ein.

Also steigen wir doch gleich tiefer ein…

Die Inhalte

Das Buch umfasst rund 300 Seiten und ist neben einer Einleitung,  abschließenden Endnoten zu jedem Kapitel und einem Literaturverzeichnis in 10 Kapitel untergliedert, wobei jedes Kapitel für sich klar in zahlreiche Unterabschnitte strukturiert wurde. Jedes Kapitel schließt mit einem Interview mit unterschiedlichen Experten und Vordenkern aus unterschiedlichsten Bereichen.

Schauen wir uns die Kapitel etwas genauer an:

  • In Kapitel 1 “Das Neurogap” geht es zunächst um traditionelle Ansätze um Gendergaps zu schließen: Seminare, die Frauen männlicher machen und Männer sensibler für unbewusste Vorurteile (“uncoscious bias”). Doch meist mit fragwürdiger Wirkung. Die These von Fabritius ist nun, zunächst mehr auf die vier chemischen Substanzen zu schauen, die unsere Persönlichkeit prägen: Dopamin, Serotonin, Östrogen und Testosteron. Und so deckt die Autorin bei Top-Führungskräften weniger Unterschiede im Geschlecht, sondern vielmehr in ihren Neurosignaturen auf. Und hieran sollte man ihrer Meinung nach ansetzen. Und so geht es auch weniger um das Geschlecht, als um die Diversity verschiedener Neurosignaturen in Team und Organisation.
  • Kapitel 2 “Ihre Neurosignatur” startet mit einer kritischen Betrachtung des MBTI Verfahrens für Persönlichkeitsmessung. Dann beschreibt die Autorin die vier Neurosignaturen etwas genauer. Hintergrund hierzu sind Forschungsergebnisse und ein Testverfahren von Helen Fisher, der sogenannte FTI Persönlichkeitstest  des Unternehmens BrainColor, bei dem die Autorin in Beirat sitzt. In ihrem Linkedin Profil weist die Autorin darauf hin, dass die in der Regel keine Beiratsmandate annimmt, aber so überzeugt vom Produkt von BrainColor sei, dass sie hier eine Ausnahme gemacht hat. Diese Euphorie und Überzeugung spürt man auch in diesem Kapitel.
  • Im Kapitel 3 “Ergebniskultur” thematisiert Fabritius dann die Unterscheidung zwischen Arbeitsergebnis und Arbeitszeit. Hierzu führt sie zahlreiche Beispiele von Unternehmen mit “kürzeren” Arbeitszeiten aus und bespricht, ob langes Arbeiten aus einer neurowissenschaftlichen Sicht eine Chance hat auch ein Mehr an Quantität oder Qualität im Ergebnis zu bewirken und wo hier Grenzen liegen. Auch arbeitet sie historisch gründlich auf, dass wir nie in der Menschheitsgeschichte länger gearbeitet haben und weniger Freizeit hatten, als heute im Zeitalter nach der Industrialisierung. Abschließend in diesem Kapitel gibt die Autorin Tipps, wie man in 7 Schritten eine Ergebniskultur statt einer Arbeitszeitkultur aufbauen kann.   
  • Das Kapitel 4 “Freude, Furcht und Fokus” beschäftigt sich zunächst mit der Idee von Höchstleistung und Flow. So haben unterschiedliche Neurosignaturen unterschiedlich nützliche Mischungen aus Freude, Furcht und Fokus, um Spitzenleistungen abzurufen. Fabritius beschreibt, was in unserem Gehirn in einem Flow Zustand passiert und was es braucht, um in diesen zu gelangen. Auch Yerkes-Dodson-Kurve und Freunde und Feinde von Fokus, wie Meditation oder unsere Handys werden diskutiert und als Verbesserung der Fokussierungsfähigkeit geistige Pausen vorgeschlagen.
  • Kapitel 5 “Pflegen Sie Ihre Neurobalance” handelt von der Frage, wie man seinen Körper und Geist in eine Art „Neuro“Balance bringen kann, die es einem auch  erleichtert, in einen Flow Zustand zu kommen und Höchstleistungen abzurufen. Hierbei geht es weniger um das geistige Bezwingen des Geistes, sondern vielmehr um die Nutzung der Verbindung von Körper und Geist, also die körperliche Betätigung als Booster für das Gehirn. Schnell wird hier deutlich, dass eine Work-Life-Balance nicht hinderlich, sondern förderlich für die geistige (und körperliche) Leistungsfähigkeit von Mitarbeitenden sein kann. Auch die Frage nach dem richtigen Zeitpunkt von Sport und Bewegung thematisiert die Autorin.
  • Im Kapitel 6 “Guter Stress” räumt die Autorin damit auf, dass Stress immer schlecht sein muss: „Guter Stress ist Stress, der Sie mit Energie auflädt und Ihnen Lebensfreude schenkt. Die angemessene Stressmenge ist dabei für jeden unterschiedlich.“ (Fabritius, 2022) Es geht dabei um die Dauer des Stresszustandes, warum Eisbaden gut ist und auch, warum Gehirne unter Stress schrumpfen können. Auch spannend ist die Frage, ob und wenn ja welchen Geschlechterunterschied es beim Thema Stress und Stressreaktion gibt und dass zu viel Langeweile das Leben verkürzen kann. Abschließen geht es in diesem Kapitel um die Besonderheiten sogenannter „Sensation Seeker“ und Tipps im Umgang mit Langeweile und Stress. Eine spannende Erkenntnis sei hier bereits erwähnt: Oft ist es besser, die Situation zu ändern, als sich selbst ;-) und öfter ein „positives Nein“ zu verwenden.
  • Kapitel 7 “Die zehn Gebote großartiger Beziehungen” beschäftigt sich mit der Kraft von Beziehungen. Dabei stellt Fabritius klar, dass die Maslow’sche Bedürfnispyramide so wie sie noch in vielen Büchern steht dennoch falsch ist. Auch wird die Asynchronität positiver und negativer Interaktionen thematisiert und warum die Autorin das Oxytocin gern als “Vertrauenshormon” bezeichnet und wie Vertrauen bei Individuen und Organisationen oder ganze Nationen wirkt. Zum Abschluss des Kapitels stellt Fabritius dann ihre 10 Gebote großartiger Beziehungen am Arbeitsplatz auf.
  • Im Kapitel 8 “Das soziale Neurogap” bespricht das Thema introvertierter und extravertierter Führungskräfte und konstatiert, dass extravertierte Führungskräfte häufig noch immer in Organisationen Introvertierten vorgezogen werden und welche Auswirkungen dies hat. Doch nicht nur extraversion, sondern auch “Plappern” hat fürs Vorankommen Vorteile. Und dies obwohl Introvertierte auch sehr gute Führungskräfte sein können. Und übrigens: Frauen sind häufiger introvertiert und auch hier häufig statistisch noch im Nachteil bei der Karriereentwicklung. Doch haben Introvertierte einige “Superkräfte” wie dies die Autorin nennt und diese vorstellt, wie beispielsweise eine höhere intrinsische Motivation oder eine längere Aufmerksamkeitsspanne. Und abschließend im Kapitel wieder ein handlungsleitender Teil: ein 7-Schritte-Plan zur Schaffung einer introversionsgerechten Unternehmenskultur. 
  • Kapitel 9 “Was ist mit den Kindern?” handelt von der Frage nach dem Umgang mit Kindern im Berufsleben. Sind Unternehmen bereit, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu fördern oder eher zu verhindern? Ein schönes Beispiel von Wendy, einer High Performerin (die ich übrigens vermute, auch zu kennen ;-) ), die ihren Job aufgrund der Unflexibilität ihre Arbeitgebers nach der Geburt ihres Kindes verlassen hat und sich selbstständig gemach hat, leitet das Kapitel ein. Doch auch andere gehirnrelevante Themen, die unsere jüngsten Sprosse betreffen, folgen. So geht es um Social Media Sucht, Computerspiele, Mono-Parenting, Intensive Parenting und Alloparenting. Um die Verknüpfung zu Unternehmen herzustellen, geht es dann abschließend um die Frage, inwieweit familienfreundliche Programme eher verhindert oder gefördert werden und mit welchen 6 Tipps, wie eine gehirngerechte Unternehmenskultur das Privatleben unterstützen kann und eben nicht auf der Negativseite der Bilanz für Unternehmen stehen sollte. 
  • Das abschließende Kapitel 10 lautet “Gruppen-Flow: Das Gegenmittel gegen Gruppendenken” und handelt, von der Frage, wie statt einem Group Think Phänomen eher ein Group-Flow zu erzeugen ist – ein Flowzustand für ganze Gruppen. Die Autorin hält allerdings ebenso ein Abschlussplädoyer für neurodiverse Teams, die helfen, das Groupthink Phänomen zu erkennen und zu reduzieren. Nicht nur positive Beispiele wie Pixar, sondern auch Negativaspekte, wie die “Dunkle Triade” von Narzissmus, Machiavellismus und Psychopathie kommt zur Sprache. Gerade solche Führungskräfte fördern ein Groupthink. Schließlich gibt es noch 6 praktische Hacks, wie Groupthink in Group-Flow verwandelt werden kann und ebenso ein paar Hinweise, wie man konstruktiv widerspricht.

Das Fazit

Das Buch ist trotz anspruchsvollem Inhalt durchgängig unterhaltsam und einfach geschrieben. Auch sind die Kapitel immer wieder durch “Boxen” unterbrochen, in denen wichtige Konzepte und Begriffe erläutert werden. “Mind Bender” erweitern den Horizont, “Brain Booster”-Boxen liefern Hacks und Ideen, “Mental Breaks” kleine Ausflüge in andere Aspekte des Themas. Die vielen Beispiele und Geschichten im Buch sind nicht nur unterhaltend, sondern, so würde ich denken und würde Vera Birikenbihl vielleicht schon gesagt haben, gehirngerecht einprägsam.

Inhaltlich geht es im Buch auch immer wieder, auch wenn es der Titel so nicht betont, vor allem auch um das Thema “Diversity”. Das Buch ist eindeutig ein Plädoyer für mehr Frauen im Management, von einer Powerfrau nicht nur an andere Frauen, sondern alle Führungskräfte gleichermaßen gerichtet. So verwundert es nicht, dass nicht nur aus Sympathie, nicht nur aus der Idee und Bewegung der Gleichberechtigung heraus, sondern schlicht und einfach weil es neurowissenschaftlich begründbar ist, eine Diversity in alle Richtungen (nicht nur im Business) förderlich ist. Und so macht es ganz nebenbei auch denen, die sich (noch) nicht für mehr Frauen in Top-Etagen einsetzen, deutlich, dass die Zeit überreif ist.

Das Buch ist im Text mit vielen Endnoten versehen, die mit direkten doi-Links (in der eBook Version) auf die entsprechenden Artikel und Quellen auf die zitierten Studien verweisen, was sich als sehr hilfreich empfunden habe. Auch das kurze ergänzende Literaturverzeichnis hilft, die eine oder andere weitere Inspiration zu bekommen.

Alles in Allem für mich ein kurzweiliges, sehr informatives und sehr schönes Buch, das nicht nur Fakten liefert, sondern auch in jedem Kapitel mit ganz konkreten Tipps und Vorschlägen zur Veränderung animiert. Ich kann es uneingeschränkt nicht nur Neuro-Leadership Interessierten, sondern Führungskräften, HR Experten wie auch Beratern wärmstens empfehlen.  

Fabritius, F. (2022). Flow@Work. Campus: Frankfurt/ New York.

 

Anmerkung zur Transparenz: Das Buch wurde dem Autor dieses Artikels vom Verlag kostenlos zur Rezension zur Verfügung gestellt. Die Meinung des Autors ist hiervon jedoch nicht beeinflusst.