Das Buch und der Autor

Es gibt keine Narzissten! - Klaus Eidenschink - Rezension - xm-institute - Dr. Oliver MackAls Berater sehen wir uns immer wieder mit Personen konfrontiert, die wir spontan als Narzissten bezeichnen würden. Sie vermitteln durch ihr Verhalten den Eindruck, sie seien die Besten, Klügsten, Größten. Und doch hat man so ein Bauchgefühl dass da was nicht stimmt, mit der Person. Ist man länger mit ihr am Arbeiten, so hat man den Eindruck der Manipulation(-sversuche) und anderer Verhaltensweisen. Das neue Buch von Klaus Eidenschink, das bei Carl-Auer erschienen ist, greift dieses Thema auf und behandelt es umfassend in einem xxx Seiten umfassenden Brevier. Und so ist das Thema nicht nur für Therapeuten, sondern gerade auch für Coaches und Berater interessant, da wie der Autor an einer Stelle im Buch schildert, es narzisstische Nöte es in der Regel verhindern, dass sich die handelnden Personen in eine “Patientenrolle” begeben und sich behandeln lassen müssen, sondern lieber an Coaches oder Berater wenden, um “noch besser zu werden” oder als “Kunde die Oberhand zu behalten”. Also ein interessantes Feld. Den Autor, Klaus Eidenschink, brauche ich in Berater- und Coachingkreisen wohl nicht näher zu erläutern. Auch wenn ich mit Ihm bisher nicht direkt etwas zu tun hatte, schätze ich seine Arbeit sehr. Sei es die Metatheorie der Veränderung oder seinen Blick auf Konflikte, der ebenso im Carl-Auer Verlag in diesem Jahr erschienen ist. Eidenschink ist ein brillanter Systemiker, Berater, Coach und vermutlich auch Therapeut (letzteres entzieht sich jedoch meiner direkten Beurteilung).

Doch steigen wir in die Inhalte des Buches etwas genauer ein…

Die Inhalte

Das Buch gliedert sich in 12 Hauptkapitel und behandelt auf den gut 160 Seiten aus meiner Sicht alle wichtigen Aspekte des Themas – umfassend und breit.

  • Bereits im Einführungskapitel macht Eidenschink klar, dass für ihn Narzissmus eine echte Not darstellt, für die bereits im Kindesalter durch Eltern und andere Bezugspersonen die Weichen gestellt werden. „Durch einseitiges, falsches, manipulierendes oder auch fehlendes Spiegeln lassen sich Kinder verformen, verdrehen, verkrümmen und verzerren – ganz ohne Gewalt und in guter Absicht. Wer Eltern hatte, die das Beste für das Kind wollten, aber dabei das Kind aus den Augen verloren haben, wird sich ebenfalls an die »beste Version seiner selbst« verlieren. Das Schlimme an narzisstischen Seelenmustern ist: Weder die Betroffenen noch das Umfeld merken, dass etwas schiefläuft.“ (Eidenschink, 2023, S. 10). Und so geht es dem Autor um eine umfassende Beschäftigung mit diesem Thema: „Ich möchte Sie dafür sensibilisieren, dass wir mehr oder weniger alle gefährdet sind, narzisstische Nöte bei uns oder anderen Menschen zu erzeugen und zu begünstigen. Weil viele unter narzisstischen Verhaltensweisen leiden, ist es besonders wichtig, Wissen zu erwerben, wie jeder selbst zum fremden wie zum eigenen Leid beiträgt. Am Ende des Buches werden Sie Wege kennen, günstig mit dem Phänomen »Narzissmus« umzugehen: bei sich selbst oder im Umgang mit anderen – egal, ob im privaten, im familiären, im beruflichen und in größeren sozialen Umfeldern.“ (Eidenschink, 2023, S. 11). So hat narzisstische Not für die Handelnden immer eine Art Schutzfunktion.
  • Im Kapitel 1 geht es zunächst um die Frage, wie diese narzisstische Not überhaupt entsteht. Umfassend erläutert der Autor vier Hauptaspekte, die narzisstische Not als Überlebensstrategie bei wenig bis keiner inneren Orientierung eines Menschen. „Man spürt nicht, was man will, sondern man spürt, was man denkt, dass man es spüren sollte.“ (Eidenschink, 2023, S. 18).
  • Kapitel 2 trägt den Titel „Was muss man tun, um Kinder mit narzisstischem Leid zu versorgen“. Nachdem der Begriff der narzisstischen Not etwas genauer erläutert wurde, beschreibt dieses Kapitel zwei Verhaltensweisen von Eltern oder anderen Bezugspersonen,  die dazu beitragen können, dass eine narzisstische Not ausgebildet wird.
  • Im Kapitel 3 „Was muss man tun, um sein Leben in narzisstischer Not zu gestalten“ beschreibt Eidenschink dann, wie sich das Muster narzisstischer Not bei einem Menschen im Alltag zeigt und stabilisiert. Es geht hierbei um grandiosen Erfolg, Misserfolg oder gar grandioses Scheitern. Aber auch um die stetige Orientierung an Idealen oder eine gefühlte Dauerkränkung.
  • Kapitel 4 ist mit „Was muss man tun, um an der narzisstischen Not anderer zu leiden?“ behandelt dann generelle Verhaltensweisen, die im Umgang mit Menschen in narzisstischer Not eher ungeeignet sind, da sie Narzissten eher noch befeuern bzw. stärken. Er behandelt Aspekte wie die Suche nach Anerkennung, Versuche der Rettung, Hoffen, Angst vor der Aggressivität oder gar Bewunderung.
  • Im Kapitel 5 geht Eidenschink auf narzisstische Not in Paarbeziehungen ein und beschreibt Muster, die sich hier bei narzisstischer Not zeigen.
  • Kapitel 6 „Was muss man tun, um narzisstische Not in Unternehmen zu kultivieren?“ beschreibt Aspekte, die in Organisationen einen guten Nährboden für narzisstische Muster bieten. In vier Mustern beschreibt der Autor Dynamiken, wie sie aus meiner Sicht häufig in Organisationen zu finden sind. Kandidaten sind hier Freund-Feind-Schemata, die Betonung von Idealen statt der Realität, die Stärkung von Selbstzweifeln der Mitarbeitenden, die Förderung von Gewinnen und Bestrafung vom Verlieren.
  • Kapitel 7 begibt sich auf die Gesellschaftsebene und sucht nach Aspekten, die in der Gesellschaft zu narzisstischer Not beitragen und diese befeuern.
  • Kapitel 8 trägt den Titel „Was muss man tun, um narzisstische Not in ihrer Gefährlichkeit zu verstärken?“. Hier werden zunächst Gründe beschrieben, warum narzisstische Not gefährlich ist: Menschen verlieren beispielsweise Selbstzweifel und sind in keinster Weise mehr empfänglich für Kritik. Oder aber durch ihre Kränkbarkeit entsteht das Risiko von Rachefeldzügen (Eidenschink, 2023, 110). Sodann stellt der Auto Aspekte dar, die durch eigenes Verhalten im Umgang mit narzisstisch in Not geratenen Personen diese Gefahren verstärken.
  • Kapitel 9 „Was muss man tun, um narzisstische Not bei sich zu lindern?“ beschäftigt sich mit der Frage, ob man selbst etwas gegen narzisstische Not tun kann und welchen Themen sich Betroffene stellen müss(t)en, um an sich zu arbeiten. Erschwert wird das Ganze dadurch, dass die narzisstische Not ja eine Art Überlebensstrategie für die Betroffenen darstellt und eine Linderung so ohne fremde Hilfe oft schwierig ist. Der Grundschlüssel und die vorgestellten Themen drehen sich um die Frage, wie es gelingt, sich (wieder) als „ganz gewöhnlicher Mensch“ zu fühlen (Eidenschink, 2023, S. 118). Doch dies ist of leichter Gesamt als getan.
  • Im Kapitel 10 geht es um die Frage „Wie kann man narzisstische Not bei anderen erkennen?“. Hierzu macht der Autor deutlich, dass es gar nicht so einfach ist, narzisstische Not bei anderen zu merken. Sich nur auf bestimmte Verhaltensweisen beim Gegenüber zu verlassen, genügt häufig nicht (Eidenschink, 2023, S. 124). Vielmehr geht es darum, in sich selbst hineingehören und seine Reaktionen auf die andere Person gut zu deuten.
  • Kapitel 11 „Was muss man tun, um narzisstische Not gut beraten zu können?“ wechselt dann in die professionelle Blickrichtung des Beraters, Coaches oder Therapeuten. Es gibt Hinweise auf „Fallen“ in die man bei seinem Gegenüber tappen kann und beschreibt Kompetenzen, die man für die Beratung haben oder entwickeln sollte. Schön finde ich hier die Begriffe der „kultivierten liebevollen Aggression“ und der „kultivierten aggressiven Liebe“.
  • Das 11. Kapitel trägt die Überschrift „Was kann man gegen psychologische Etiketten tun?“ und ist ein Plädoyer gegen eine Etikettierung der Betroffenen als „Narzissten“ und damit gegen eine Verfestigung, Abwertung und Eigenschaftszuschreibung.
  • Das Schlusswort „Zum Ausklang: Liebe, Stolz und Not“ startet mit einem Martin Buber Zitat: „Alles wirkliche Leben ist Begegnung!“ und soll verdeutlichen, dass narzisstische Not den Verlust echter Begegenungsfähigkeit darstellt. Und so gilt es auch Stolz nicht mit narzisstischer Eitelkeit und Arroganz zu verwechseln und ein abschließender Aufruf, sich allen Nöten im Leben, auch den narzisstischen zu stellen.

Das Fazit

Klaus Eidenschink schafft es mit diesem Buch wieder einmal, ein wichtiges und komplexes Thema umfassend und multiperspektivisch, differenziert und einfach darzustellen, ohne zu simplifizieren oder zu pauschalisieren. Seine Beispiele zeigen seine Erfahrung und geben plastische Bilder narzisstischer Verhaltensweisen und deren Erkennen und Umgang mit Ihnen als Berater oder Coach. Im Buch wird ebenso deutlich, wo und wie wir in der Gesellschaft und in Organisationen eher narzisstische Not fördern, als lindern und dass es an uns allen liegt, mit Personen, die in diesem Sinne notleidend sind, umzugehen. Doch ein Risiko besteht: Vielleicht erkennt man bei der Lektüre die eine oder andere Facette an sich, die sich als narzisstische Not deuten ließe und macht vielleicht den ersten Schritt, sich damit tiefer auseinanderzusetzen. Ich habe das Buch jedenfalls sehr genossen und empfehle es nicht nur Beratern, Coaches und Therapeuten, sondern sehr breit gerade auch Führungskräften oder Fachkräften, die sich mit dem Thema näher auseinander setzen wollen. Es gibt einerseits wertvolle Praxistipps im Umgang mit Personen, die in narzisstischer Not sind wie auch Denkanstöße für Betroffene, etwas tiefer in sich hineinzuhören und vielleicht wieder Resonanz zu sich als Person und Mensch zu finden. Ein wirklich lohnenswertes kleines Büchlein.

Eidenschink, Klaus (2023).  Es gibt keine Narzissten! Nur Menschen mit narzisstischen Nöten. Carl Auer Verlag: Heidelberg.

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Anmerkung zur Transparenz: Das Buch wurde dem Autor dieses Artikels vom Verlag kostenlos zur Rezension zur Verfügung gestellt. Die Meinung des Autors ist hiervon jedoch nicht beeinflusst.

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