Buchbesprechung Digital Tourbook xm-instituteIn meiner heutigen Buchbesprechung geht es erneut um ein Buch vom Murmann Verlag, den ich aufgrund seines progressiven Verlagsprogramms und teils extravaganter Buchdesigns sehr schätze und schon mehrfach besprochen habe. Also war ich auch gespannt auf das “Digital Tour Book” von Christopher Rheidt und Daniel Wagenführer, das Anfang April 2018 erschienen ist.

Der Untertitel “Die erfolgreiche Transformation zum digitalen Unternehmen – ein Reisebericht” reiht sich auf den ersten Blick in die Schlange der aktuellen Flut an Digitalisierungsbüchern mühelos ein. Beide Autoren stammen aus einem Unternehmen aus dem deutschen IT Mittelstand, was mir Hoffnung auf einen pragmatischen und umsetzbaren Ansatz macht. Also los gehts…

Das Buch handelt tatsächlich von einem echten Reisebericht. Vorrangig von der Reise nach Berlin, wohin sich die beiden Autoren aufgemacht haben, um, wie sie sagen, “das Traditionsunternehmen”, für das sie “seit einiger Zeit arbeiten, digital [zu] transformieren”. Sie “wollten den Weg ebnen in das digitale Zeitalter [… und] ausloten, was diese Firma braucht, um die Zukunft zu stemmen und digitale Chancen zu nutzen.” Ob es gelungen ist, dieses Ziel und den Weg dorthin ausreichend im Buch darzustellen, das gilt es für mich herauszufinden.

Im zweiten Kapitel gehts um den Aufbruch zur “Reise nach Digitalien“, wie die Autoren es nennen. Damit meinen sie die Berliner Start-Up Szene, die sie gemeinsam mit Kollegen erkundet haben. Es scheint, als ob sie hier bei ihrem Buch und bei der Reise dabei von Kai Diekmann und seinem Buch inspiriert worden waren, das als Bestseller von der Reise des BILD Chefredakteurs ins Silicon Valley berichtet hatte. Rheidt und Wagenführer berichten von ihrer gebuchten All-inclusive-Startup-Wochenend-Tour nach Berlin und geben hierzu einige interessante Tipps für Einsteiger. Für echte Digitalexperten ist in diesem Kapitel wenig Neues dabei, für Einsteiger aber die eine oder andere nützliche Idee. Also weiter gehts auf der Reise… 

Im Kapitel 3 geht es dann um die “Bewohner” von Digitalien. Um Digital-Berater, Gründer und andere. Unterhaltsam geschrieben und doch für mich als Digital Native der ersten Stunde ein wenig befremdlich, wenn vielleicht auch aus Sicht der Autoren verständlich. Da wird von überhöhten Preisen für Prototypen oder Digitalprojekte gesprochen. Von Typen, die überzogene Vorstellungen davon haben, was sie, ihr Know-how oder Produkt/ Dienstleistung wert ist. Und von Klischees, die es zu erwähnen gilt: Das schnelle Du, das schnelle Mittagessen, das Szenelokal oder der “überteuerte” Co-Working-Space. Vielleicht alles objektiv richtig und sehr unterhaltend, wenn auch auch aus meiner Sicht ein wenig zu negativ und teilweise mit einem anderen Blick auch anders beschreib- und interpretierbar. Ich selbst habe den ersten Internet-Hype um das Jahr 2000 als Business Developer und Geschäftsführer eines Internet-Startups mitgemacht, der dann von einem größeren Unternehmen aufgekauft wurde. Auch mich hat zunächst als Außenstehender die Art und Weise der Arbeit, Kommunikation und Zusammenarbeit irritiert, bereits damals. Doch mit dem Rückblick auf diese Zeit und meine Erlebnisse im Silicon Valley und vereinzelt in Berlin bin ich qua der beschriebenen Faktenlage deutlich positiver gestimmt, als die Autoren. Es überwiegt für mich das Positive: Das “pay forward”, die Offenheit, die hohe Verletztheit, die Energie und der positive Zukunftsglaube, der diese Kultur häufig deutlich von der klassischen Wirtschaft abhebt. Das 3. Kapitel strahlt daher für mich ganz persönlich eine gewisse Schwere aus, die es nicht bräuchte, da schwarze Schafe und Marktschreier sicherlich auch außerhalb der Digital-Szene in Berlin und auch anderswo zu finden sind. Schaut man hinter die Fassaden, erkennen die Autoren mit dem einen oder anderen “Reisetipps” jedoch richtig, dass es bei all ihren Erlebnissen weniger auf die exakte Imitation oder Hippness der Berliner Szene ankommt, sondern auf die eigene Interpretation. Somit sind auch hier wieder gute Tipps für Einsteiger dabei und auch einige Learnings, worauf man achten sollte und worauf man nicht hereinfallen sollte.

Kapitel 4 handelt vom echten Kennenlernen. Dieses Kapitel wirkt versöhnlich auf meine Leserstimmung. Nicht die “Geier und Vampire, die auf das schnelle Geld aus waren”, sondern die echten Startups, Meetups und Konferenzen prägen hier das Bild von Berlins digitaler Szene. In diesem Kapitel werden daher auch dann die positiven Erfahrungen mit Kontakten und Kooperationen beschrieben. Wieder mit einigen Einsteigertipps.

Im Kapitel 5 geht es ums “heimisch werden”. Wie nun alle Erfahrungen im eigenen Unternehmen umsetzen? Leider bleibt dieses Kapitel recht oberflächlich und offen.  Die Autoren empfehlen einen kritisch-reflektieren und vorsichtigen Ansatz zur Digitalisierung des eigenen Unternehmens, um es in meine Worte zu fassen. Sie scheinen dem Hype der Start-Up Szene und den Disruptionsgedanken der Digitalbranche sehr kritisch gegenüberzustehen, obwohl sie mit ihrer eigenen Organisation aus einem Technologieumfeld kommen, in dem sie die Umwälzungen deutlich und schnell bereits heute spüren müssten.

Das Buch endet mit einem Epilog und einer Zusammenfassung aller Reiseempfehlungen, die sich immer wieder als Reisetipps im gesamten Buch zwischen den Text gesellen.

Zusammenfassend, bin ich bei diesem Buch etwas zwigespalten: 

Einerseits ist das Buch ein wie immer bei Murmann schön aufbereiteter Text mit schöner Aufmachung und sehr vielen praktischen Inhalten, die von den persönlichen Erlebnissen zweier Führungskräfte aus dem traditionellen IT Mittelstand aus erster Hand berichten. Dies ist amüsant, unterhaltend, hat die eine oder andere praktische Erfahrung für Einsteiger parat. Andererseits bietet das Buch für mich als Experten zu wenig tiefgründig Greifbares oder Anwendbares und kratzt teilweise leider nur an der Oberfläche. Die innovative Kultur der Biotope wie Silicon Valley oder auch London oder Berlin wird aus meiner Sicht eher etwas zu kritisch, denn objektiv balanciert bewertet. Einige Aspekte der neuen Digitalkultur scheinen m.E. zu unreflektiert auf. Doch einige der Kern-Erkenntnisse würde ich auch voll teilen, wie z.B.: Die Vermeidung der rein kommerziellen Touren und Scharlatane und die Hinwendung zu eher “echten” versteckten Startups und Digitalkonferenzen und Meetups. Insgesamt richtet sich das unterhaltsame und kurzweilige Buch vor allem an Digitaleinsteiger und eher kritisch-konservative Unternehmer, die sich dem Thema eher vorsichtig und mit Bedacht “fail save” statt “save to fail” nähern wollen.

Christopher Rheidt & Daniel Wagenführer: Digital Tour Book, Murmann, 2018

Anmerkung zur Transparenz: Das Buch wurde dem Autor dieses Artikels vom Verlag kostenlos zur Rezension zur Verfügung gestellt. Die Meinung des Autors ist hiervon jedoch nicht beeinflusst.