Die Niederlagen des Neuen sind vielfältig. Nicht nur neue Produkte, die per se eigentlich eine gute Sache sind, floppen mit Raten bis zu 80% im Consumer Markt, neue Technologien setzen sich trotz Überlegenheit nicht durch und auch viele Veränderungsprozesse in Unternehmen bleiben trotz eines überragenden Konzepts in der Implementierungsphase erfolglos stecken. Warum setzt sich Gutes eigentlich nicht immer durch? Diese Frage haben sich sicherlich schon viele gestellt. Eine Facette, um dieser Frage auf den Grund zu gehen, ist die Verhaltensökonomie, die versucht, dieses Scheitern mit dem spezifischen Verhalten der Kunden oder Empfänger zu erklären.

Vier Effekte spielen zusammen, wenn man die Adaption von Neuem betrachtet:

  • Subjektiv statt objektiv: Wir bewerten in der Regel Alternativen nicht nach ihrem objektiven, tatsächlichem Wert, sondern nach ihrem subjektiven, erwarteten Wert.
  • Relative statt absolute Bewertungen: In der Regel führen wir keine absoluten, sondern lediglich relative Bewertungen durch.
  • Referenzpunkt Status Quo: Bewertungen werden nicht ganzheitlich, sondern zum Status Quo als Referenzpunkt getroffen. Dies führt dazu, dass zwar alle Neuerungen als Vorteile bezogen auf diesen Referenzpunkt bewertet werden, aber auch alle fehlenden Elemente als Nachteil und Verlust.
  • Risiko- und Verlustaversion: Verluste werden in der Regel höher einegschätzt, also ein Gewinn gleicher Höhe. Dieses Verhalten ist in der Regel unabhängig von Situation und Person.

John Gourville identifiziert einen sogennannten 9x Effekt. Kunden überbewerten in der Regel die bestehende Situation oder konkreter die Lösung um den Faktor 3, während Unternehmen neue Innovationen und Lösungen um den Faktor 3 überbewerten. Letzteres kommt nicht zuletzt deswegen zustande, weil die handelnden Personen im Unternehmen die Innovation bereits als Normalfall ansehen. Dies führt zu einer Lücke mit Faktor 9, so dass Neuerungen 9x besser sein müssen, als das Bekannte, um dieses erfolgreich abzulösen. Gourville bezeichnet diesen Effekt als 9x Effekt.

Das beschriebene Phänomen lässt sich nicht nur, wie von Gourville primär fokussiert auf das Thema Neuproduktentwicklung und Innovation anwenden. Die Bewußtmachung der einzelnen Verhaltenselemente hilft auch bei organisationalen Veränderungs- und Change-Initiativen in Unternehmen. So treten in Unternehmen exakt die selben Effekte und Beharrungskräfte auf, die für Neuprodukteinführungen gelten. Altes und Bekanntes soll durch Neues abgelöst werden. Auf individueller Ebene wird hier das Neue mit dem Vorhandenen verglichen, und abgewogen, ob eine persönliche Veränderung sinnvoll scheint. Da die rein hierarchische Anweisung in der Regel in der Realität schwierig durchzusetzen ist, ist man gezwungen, sich mit dem Widerstand gegenüber Neuerungen auseinanderzusetzen.

Als Lösungen führt Gourville in seiner Arbeit zwei Strategien an, mit dieser Situation umzugehen:

  • Akzeptanz des Widerstands: Drei Strategien werden zur Bewältigung des Problems genannt – (1) Geduld und Akzeptanz einer langsameren Adoptionsgeschwindigkeit, (2) Quantenspünge an Vorteilen um den Faktor 10x, (3) Gleichzeitige Eliminierung der alten Option.
  • Minimierung von Widerstand: Auch hier werden drei Strategien vorgschlagen – (1) Entwicklung von Lösungen, die so gering wie mögliche Verhaltensänderungen notwendig machen, (2) Fokussierung auf Kunden, die die alte Lösung nicht haben (Vermeidung des “endowment effects”) und (3) gezielte Suche nach “Jüngern”, Personen, die mit großer Bereitschaft der neuen Lösung folgen.

Bezogen auf Veräderungsinitiativen lassen sich mehr oder minder alle Strategien direkt oder interpretiert anwenden. Lediglich die Möglichkeit, sich auf Betroffene zu fokussieren, die die alte Lösung nicht haben, bleibt verschlossen oder lässt den Schluß zu, dass eine Fokussierung auf Mitarbeiter, die neu oder erst kurz im betroffenen Bereich oder Prozess arbeiten, sinnvoll ist.

In einem weiteren Post werde ich das Thema vertiefen und noch stärker mit dem Thema Organisation verknüpfen.

Literatur:

Gourville, J., Eager Sellers and Stony Buyers: Understanding the Pychology of New-Product Adoption, HBR, June 2006, 98-106