Viel wird über Ambidextrie gesprochen, viel geschrieben. Das Thema “Beidhändige Führung” scheint, zumindest wenn es nach dem Willen einiger Berater geht, ein neues Thema zu sein, das Unternehmen zu lösen haben. In meinem Beitrag heute geht es daher um die Frage, ob was sich genau hinter dem Begriff der Ambidextrie verbirgt und ob dieses Dilemma tatsächlich ein Neues für die Führung darstellt.

Generell geht es bei der Frage um Ambidextrie um die Frage bestehender Kompetenzen einer Organisation. Jede Organisation, will sie am Markt bestehen, braucht gewisse Kompetenzen; muss etwas besonders gut können, um die Produkte und Dienstleistungen bei den Kunden am Markt absetzen zu können. Die Fähigkeit zur Ausnutzung (Exploitation) dieser Fähigkeiten, die Weiterentwicklung und Verfeinerung des Bestehenden ist damit entscheidend für den Markterfolg. Dennoch bieten sich einer Organisation auch immer wieder neue, noch nicht bekannte Alternativen, Ideen, Technologien, Strategien oder Wissen. Die Suche und Entdeckung, die Innovation oder das Experimentieren mit neuen Ideen ist ebenso ein wichtiger Aspekt für den Fortbestand der Organisation, möchte man sich an die sich ständig verändernden Umwelten anpassen und so überleben. Mit evolutionsbiologischen Begriffen kann hierbei beim Thema Exploration von Variation- und Retentionsmechanismen einerseits und bei der Exploitation von Selektionsmechanismen gesprochen werden, die in der Organistion vorhanden sein müssen. (Holmquist, 2004) Das Thema wurde weiters in allen Bereichen der Management- und Organisationsforschung aufgegriffen: In der Lerntheorie, in der Strategie- und Innovationsforschung, in der Organisations- und Changeforschung.

Überträgt man das Thema auf die Praxis, so wird schnell deutlich, dass ein “Das Eine” – Exploitation, oder “Das Andere” – “Exploration” keine echte Option darstellt. Bin ich nur auf das Eine erpicht, laufe ich als Unternehmen Gefahr stehenzubleiben, mich in nicht mehr relevanten Technologien zu perfektionieren und mich irgendwann selbst aus dem Markt zu schießen, verfolge ich nur das Andere, bin ich ewig Suchender, kann nie die Früchte der Neuentdeckungen ernten und werde letztlich am Markt wenig Profil bekommen und wahrscheinlich die Qualität anderer Wettbewerber nie erreichen. Es benötigt also immer eine Art “BEIDES”, das scheint unstrittig. Doch wie dieses “BEIDES” gut gestaltet werden kann, genau das ist die praktische Fragestellung der Ambidextrie-Thematik.

So sind es laut Keller (2012) drei Aspekte, die die Problematik des Spannungsverhältnisses zwischen Explore und Exploit so schwierig machen:

  • Die beiden Modi erfordern sehr unterschiedliche Führungs- und Verhaltenslogiken der Akteure, so dass sich diese i.d.R. entweder ausschließen, oder zumindest psychologisch stark im Widerspruch stehen. Benötigt es für das Eine eher Disziplin, Konsequenz, Planung und Fokus, ist für “das Andere” eher Zeit, Breite, Suche, Offenheit oder Zufall gefragt.
  • Das Ambidextrieproblem lässt sich auch vor dem Hintergrund einer Ressorucenknappheit verstehen. Investiert man eher in die Optimierung oder die Innovation? Wären Ressourcen nicht begrenzt, so würde die Entscheidung zwischen Exploration und Exploitation kein Problem darstellen.
  • Schließlich scheinen sich die beiden Pole selbst zu verstärken und damit zunehmend über die Zeit unvereinbarer zu werden. So besteht im Exploit Modus eine gute Chance, schnell einen Erfolg durch Effizienzsteigerungen zu sehen, der dann zu weiteren Investitionen in diesen Bereich einlädt (success-trap). Im Explore-Modus hingegen ist das gegenteilige der Fall: Bleibt das erwartete Ergebnis aus, so scheint man geneigt die bisher getätigten Investitionen in die Entscheidungen über Folgeinvestitionen einzubeziehen, anstelle sie als Sunk-Costs zu betrachten. So hofft man durch weitere Investitionen doch noch auf erfolgreiche Ideen/ Innovationen (failure-trap). 

Ambidextrie oder Beidhändigkeit bedeutet nun die Fähigkeit, dieses Spannungsverhältnis zwischen Explore und Exploit in einer organisation erfolgreich ausbalancieren zu können und die Vorteile beider Bereiche für die Organisation zu nutzen. Das Problem zeigt sich in der konkreten praktischen Umsetzung der Ambidextrie: Unterstützt man die These, dass sowohl Explore als auch Exploit Modus für das langfristige Überleben einer Organisation entscheidend ist, so stellt sich sofort die Frage der Ambidextrie und der ambidextren Organisation.

Einige Gedanken, wie dieses Dilemma möglicherweise zu lösen ist, habe ich bereits in anderen Beiträgen beleuchtet:

Diese beiden Artikel stellen Aspekte aus der bisherigen wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Thema dar. Weitere Gedanken zur Lösung folgen in zukünftigen Artikeln hier in dieser Serie.

Literatur

Holmqvist, M. (2004). Experiental learning processes of exploitation and exploration within and between organizations: An empirical study of product development. Organization Science, 15 (1), 70-81.

Keller, T. (2012). Verhalten zwischen Exploration und Exploitation. Diss. Fern-Universität Hagen.