Rezension Achtsame Führung - Oliver Mack - xm-instituteIn dieser Rezension geht es um einen gerade erschienenen Sammelband aus dem Schäffer-Poeschel Verlag. Es beschäftigt sich mit dem spannenden Thema Achtsamkeit und Führung. Betrachten wir die Herausgeber genauer, fällt zweierlei auf: einerseits handelt es sich um ein internationales Werk dreier Professor*innen- zwei von Dreien sind männlich und in der Schweiz angesiedelt, eine Herausgeberin ist weiblich und aus den Niederlanden. Zum Zweiten haben die Herausgeber ein sehr breiten Hintergrund mit einer Mischung aus Wirtschaftswissenschaften, Psychologie, Sozialpädagogik, Theologie und Gesundheitsmanagement. Ich erwähne dies deshalb, weil sich diese Vielfalt auch bei den weiteren Autoren des Werks fortsetzt und die vielfältigen und spannenden Perspektiven, die dieses Buch bietet einwenig erklärt. So kommen Theologen, Medien- und Kulturwissenschaftler*innen, eine Sinologin und Mediziner zu Wort. Allesamt mit einem Professorentitel gekürt und doch sehr praktisch und anwendungsorientiert. Das klingt spannend.

Achtsame Führung ist aktuell sicherlich ein Trendthema und viele Bücher und Berater sprechen von der Notwendigkeit zu mehr Selbstführung und Achtsamkeit im Management. Häufig für meinen Geschmack entweder „zu spirituell“ oder „zu berater-like“. Doch als ich zunächst neugierig die Zusammensetzung der Autor*innen analysierte,  hatte ich den Eindruck, dass dies hier anders sein könnte und war gespannt.

Doch der Reihe nach:

Das Buch umfasst bei rund 220 Seiten dreizehn Beiträge und gliedert sich neben einem Einleitungsartikel und einem Ausblick in zwei Hauptteile:

  • Teil 1: Grundlagen der achtsamen Führung: Philosophie, Geschichte und Kulturation
  • Teil 2: Transfers von der Theorie zur Praxis

Die Einleitung befasst sich mit grundlegenden Aspekten wie sinngebende Arbeit und sinnierendes Leben, Achtsamkeit als Basis hierfür im Allgemeinen und Achtsamkeitskultur und achtsame Führung im besonderen Kontext von Unternehmen. Sie schließt mit einer Kurzübersicht über den Aufbau und Inhalt des Buchs.

Der erste Teil (Theorieteil) beschäftigt sich, wie der Titel schon sagt, mit philosophischem geschichtlichen und kulturellen Aspekten von achtsamer Führung, wobei die asiatische Achtsamkeits-Tradition einen bedeutenden Part einnimmt: 

  • Es startet mit einem Artikel von Volker Schulte und Susanne Hübenthal – „Wirkmechanismen von Achtsamkeit als Voraussetzung achtsamer Führung“. Dieser wirft einen Blick auf das MBSR (Mindfulness-based Stress Reduction) Programm einerseits und  arbeitet die theoretischen Hintergründe aus ostasiatischem Zen und abendländisch-christlicher Perspektive andererseits auf. Ebenso beschreibt er den aktuellen Stand der Wirksamkeitsforschung zu Achtsamkeitsprogrammen.
  • Der Theologie Arie Hans Verkuil vertieft in seinem Beitrag „Religiöse Wurzeln des Achtsamkeitskonzepts als Bezugspunkt für ethische Führung“ den religiösen Aspekt von Achtsamkeit einerseits und stellt diesem andererseits Aspekte der Resilienzforschung gegenüber. Ferner beschäftigt er sich mit dem Aspekt der Mindfulness im Kontext ethischer Führung.
  • „Ethische Grundpfeiler menschendienlicher Führung“ wieder von Volker Schulte diesmal gemeinsam mit Paul Imhof, beschäftigt sich mit dem Konzept der Menschendienlichkeit als Tugend und entwerfen ein Wertesystem auf Basis von Tugenden, die als ethische Grundpfeiler für Führung dienen können.
  • Der folgende Artikel von Anuradha Sarhiyaseelan, Balasundaram Sathiyaseelan und Michael Zirkler beschäftigt sich mit dem indischen „Jugaad“ Konzept und dessen Einsatz in der Führung. Die Autor*innen berichten über ihre neuesten Forschungsergebnisse zum „Jugaad“ Ansatz, der sich als asiatischer wirksamer Innovationsansatz mit beschränkten Ressourcen beschreiben lässt.
  • Der Sinologe Thomas Zimmer folgt mit seinem Beitrag „Der ‚ideale Herrscher’ in China: Konfuzianische Tradition und politische Praxis der Gegenwart“. Dieser spannende vergleichende Beitrag schließt den ersten Teil ab.

Der zweite Teil des Buchs ist anwendungsorientierter:

  • Im ersten Artikel mit dem Titel “Residenz und Achtsamkeit: Konzepte und Angebote für Organisationen in Zeiten der Veränderung” beschäftigen sich Christoph Steinebach, Álvaro I. Langer und Vanessa Nowak mit der Frage, wie Persönlichkeitsentwicklung und Achtsamkeitkonzepte im Organisationsalltag umgesetzt werden können.
  • Es folgt Klaske Veth mit der Frage nach einem Umfeld für Entfaltungsmöglichkeiten der Mitarbeiter. Im Beitrag “Den Verstand zähmen” untersucht sie belastende Faktoren am Arbeitsplatz und wie Achtsamkeit hier gesundheitsfördernd eingesetzt werden kann.
  • Martijn de Klewit mit dem Beitrag “Die Rolle der Ethik in der Führung: Ein praktisches Modell für eine achtsame ethische Führung” hinterfragt zunächst, was “gute Führung” ausmacht. Dann geht es über die Werte der Führungskraft zur Frage der Neuausrichtung selbiger durch Offenheit und Achtsamkeit für Feedback. Nach weiteren Kapiteln über den herausfordernden Umgang mit Dilemmata und dem Einsatz von Führungsauthorität folgt abschließend de Klewits AHRA Modell für eine praktische achtsame ethische Führung.
  • Kristina Bodrozic-Brnic und Thomas Thiessen untersuchen danach die “Digitalisierung als Herausforderung für achtsame Führung”. Dabei geht es ihnen zunächst um die Einordnung und Konkretisierung von Mindful Leadership und warum diese für die digitale Transformation von hoher Bedeutung ist. Sie beschreiben dann anhand eines Praxisbeispiels wie auch im Mittelstand achtsame Führung gefördert werden kann und welche Rolle hierzu auch aktuell trendige Tools und Methoden wie Lego(r), Learning Journey oder Online Seminare beitragen. Sie schließen mit einer betriebswirtschaftlichen Sicht auf das Thema.
  • “Mentaltraining als Selfmanagementpraxis im Beruf” von Marc Aeschbacher und Valeria Legena widmet sich dem Thema Mentalraining, das erst nach und nach in das berufliche Gesundheitsmanagement Einzug hält. Sie gehen einerseits auf Ursachensuche, warum dieses lange Zeit sehr stiefmütterlich behandelt wurde und stellen dann fünf Mentaltrainingsansätze für den Alltag vor.
  • Jan Willem de Graaf mit “Achtsamkeit und Technologie” steigt zunächst intensiv in die Beziehung zwischen Mensch und Technologie ein. Es geht ihm dann um die Bedeutung von Achtsamkeit für den Menschen und schließlich um die Verbindung zur achtsamen Führung. Dabei geht er in diesem von den Herausgebern aus dem Englischen übersetzten und gekürzten Essay auch auf die Entwicklung automatisierter Verhaltens- und Denkschemata ein. Achtsamkeit stellt sich für ihn als Möglichkeit dar, sich von eingefahrenen Schemata und technologischen Kontexten zu distanzieren, um anders auf die Situation blicken zu können.

Das Buch schließt mit einem kurzen Ausblick der Herausgeber auf die Ansprüche einer Führung von morgen.

Fazit: Das Buch ist aus meiner Sicht sehr gelungen. Es arbeitet einerseits in umfassender und guter Art und Weise den aktuellen Forschungsstand zu diesem Thema auf. Die Vielfalt der Autoren hilft dabei, eine äußerst breite Sicht auf das Thema zu bekommen und viele Inspirationen hieraus abzuleiten. Trotz der guten Fundierung sind für Praktiker so wichtige Ideen für die konkrete Anwendung und Umsetzung in Organisationen ebenso enthalten, so dass das Buch auch dieser Zielgruppe, seien es Berater, die sich zum Thema Achtsamkeit und Führung auf den neuesten Stand bringen wollen, wie auch Führungskräfte oder HR Experten, die neugierig auf dieses Thema sind. Aus meiner Sicht eine uneingeschränkte Leseempfehlung.  

Schulte, V./ Steinebach, Chr./ Veth, K. (2021). Achtsame Führung. Schäffer Poeschel: Stuttgart.

Anmerkung zur Transparenz: Das Buch wurde dem Autor dieses Artikels vom Verlag kostenlos zur Rezension zur Verfügung gestellt. Die Meinung des Autors ist hiervon jedoch nicht beeinflusst.