Rezension: Soziologie der Unternehmung - Wilhelm Berning - xm-institute - Dr. Oliver MackDas Buch und der Autor

Heute gehts wieder einmal um ein etwas theoretischeres Buch: Soziologie der Unternehmung von Wilhelm Berning, kürzlich erschienen in der blauen Reihe „Systematisches Management“ bei Schäffer-Poeschel. Der Autor ist studierter Physiker, Mathematiker und Betriebswirt und war über 25 Jahre in einem Konzern tätig und ist Autor verschiedener Publikationen.

Der Autor selbst beschreibt im Vorwort sein Anliegen des Buches wie folgt: „Das vorliegende Buch versucht einerseits, Verständnis für das menschliche Miteinander und die damit verbundenen Probleme zu erzeugen, und andererseits, Handlungsmöglichkeiten aufzuzeigen, um das menschliche Verhalten und Handeln in Bahnen zu lenken, die für das Unternehmen am erfolgversprechendsten sind.“ (Berning, 2023, S. 8) 

Auf Basis des Gedankens der Autopoiese von Maturana und Varela und teils abweichend von Luhmann versucht sich der Autor auf gut 315 Seiten Hardcover (das Buch ist aber auch digital erhältlich) dem Thema des Funktionierens von Organisationen über die reinen Prozesse und Strukturen hinaus zu nähern. Und so steigen wir gleich in die Inhalte ein.

Die Inhalte

Neben einem Inhalts- und Stichwortverzeichnis, das die Kapitel umschießt, umfasst das Buch zehn unterschiedlich umfassende Kapitel, wobei jedes sein eigenes Literaturverzeichnis besitzt:

  • In „Kapitel 1: Einführung“ geht es um die Motivation und Struktur des Buches..
  • „Kapitel 2: Systemischer Unternehmensansatz“ legt die Grundlagen der weiteren Kapitel. Hier geht es vor allem um die Frage nach Unternehmen als Systemen und die Theorie der Autopoiese. Es geht um die Hintergründe und Konsequenzen der Autopoiese mit Aspekten, wie Selbstorganisation, Zirkularität, Beobachtung, Strukturelle Kopplung, Lernen und anderes.
  • Das „Kapitel 3: Entwicklung eines ideal-theoretischen Unternehmens“ stellt zunächst die Frage, ob man Unternehmen als autopoietische Systeme verstehen kann. Hat Maturana selbst diese Frage tendenziell eher negativ gesehen, hat Luhmann mit Kommunikation als Elementen und den Mitarbeitenden als Umwelt Unternehmen als soziale Systeme ja bekanntlich eher positiv gesehen. Wenn auch der Autor wie viele andere diese Frage nicht vollständig beantwortet, da er sie als eher philosophisch nützlich sieht, geht er hier den Weg (wie andere auch), bestimmte Merkmale autopoetischer Systeme für die Organisation als solche zu bejahen. „Somit geht es in diesem Buch darum, aus dem gewonnenen Verständnis von Autopoiesis ein Modell eines autopoietischen Unternehmens zu entwickeln, um daraus Wissen und Verständnis zu gewinnen, sodass die Funktionsweise von (realen) Unternehmen anschließend besser zu verstehen und auch zu verbessern ist. Die fundamentale Voraussetzung dafür ist die These, dass das Unternehmen per definitionem autopoietisch ist und der Unternehmensgründer die autopoietische Komponente repräsentiert. Ausgehend von dieser fundamentalen Grundannahme lässt sich dann gut ein Modell entwickeln, das geeignet ist, Probleme, Schwierigkeiten und Hemmnisse in Unternehmen zu entdecken, zu verstehen und Möglichkeiten aufzuzeigen, wie diese vermieden werden können.“ (Berning, 2023, S. 69) Berning geht dann aber einen anderen Weg als Luhmann, wenn er zur Beschreibung von Unternehmen als soziale Systeme kommt: Er stellt die Interaktion in den Mittelpunkt und sieht sehr wohl die Mitarbeitenden als Elemente des Systems Unternehmen. Ausgehend vom Gründer bzw., Einzel-Unternehmer denkt er ein theoretisches Konstrukt, bei dem quasi alle Mitarbeitenden „Klone“ des Gründers sind und auch noch weitere idealtypische Aspekte greifen, um ein konsistentes handhabbares Modell zu beschreiben. Dieses wird ausführlich anhand verschiedenster Aspekte in 25 Unterpunkten besprochen.
  • „Kapitel 4: Reale Unternehmen“ arbeitet nun auf Basis dieses Modells die Unterschiede tatsächlicher Unternehmen heraus. Hierbei differenziert Berning zwischen intrasystemischer Analyse und intersystemischen Analyse. Erstere zielt besonders auf die Mitarbeitenden als autopoietische Systeme sowie ihre Veerschachtelung mit dem sozialen System Unternehmen und die hieraus entstehenden Implikationen für eine höhere Komplexität. So wird u.a. beschrieben, warum Selbstorganisation Hierarchie zumindest aus Sicht der Minimierung von Transaktionskosten braucht und warum Motivation, Commitment und Identifikation in Unternehmen eine Schlüsselfunktion einnehmen. Die intersystemische Analyse betrachtet dann zwar wieder die Beziehungen zwischen Unternehmen und Mitarbeitenden, aber unter Einbezug weiterer Systeme aus deren Systemumwelten, wie Familie oder Gesellschaft (Berning, 2023, S. 129). Auch hier werden wieder zahlreiche relevante Aspekte beschrieben, wie das Lernen und Entscheidungen oder Motivation und Wertesysteme oder Beobachtung und Interpretation.
  • Im „Kapitel 5: Verhalten“ vertieft der Autor die Komplexität zwischenmenschlicher Beziehungen. Dabei wird nicht nur aber vor allem auch auf Führungskraft und Mitarbeitende Bezug genommen, die mit Komplexität umzugehen haben. So gilt es aus Sicht des Autors Komplexität zu verstehen, zu erkennen, einzuordnen und zu akzeptieren. Dabei differenziert Berning zwischen der eigentlichen und der anderen Komplexität, wobei letztere eher komplexe Produkte, Märkte oder Umweltbedingungen darstellt, erstere eher aus dem Interagieren von Individuen im Unternehmen. Diese zeichnet sich durch Vielfalt im Verhalten der Individuen aus, welche unterschiedlich motiviert sein können. In Unternehmen kann dies Vorteile, aber auch Herausforderungen mit sich bringen.
  • „Kapitel 6: Komplexität in Unternehmen“ nutzt als Basis die Theorie komplex-adaptiver Systeme (CAS) und Complexity Leadership Theory (CLT), um unter Führungsaspekten und die organisationale Komplexität zu blicken. Zunächst beschreibt der Autor umfassend die Merkmale komplex-adaptiver Systeme und überträgt diese auf Unternehmen. Er stellt dabei die Anpassung komplexer Systeme in den Mittelpunkt. Dann geht er näher auf die Frage ein, wie Führung im Sinne der CLT als „Gestaltung von Adaptive Spaces“ verstanden werden kann und Selbstorganistation nutzbringend für Entwicklung unterstützen kann. 
  • Im „Kapitel 7: Transformation zu einer realen Organisation versucht der Autor die Erkenntnisse der vorangegangenen Kapitel in „reale Unternehmen hineinzukonstruieren“. Dabei unterstellt er, dass die „triviale Komponente bereits in optimaler Weise funktioniert“ (Berning, 2023, S. 254) und und man sich der nicht-trivialen Komponente annehmen kann. Dabei treten, wie ich es formulieren würde die systemischen Aspekte der Art und Weise der Zusammenarbeit von Menschen in den Vordergrund.
  • „Kapitel 8: Führung in komplexen adaptiven Systemen“ beschäftigt sich mit den Führungskräften  und Führungskräfteentwicklung auf Basis des bisherig aufgebauten Verständnisses von Unternehmen. Berning versteht hierbei Führungskräfte als eine Vermittler in der Verhaltensvielfalt der Organisationsmitglieder. In einem weiteren Teil zur Führungsentwicklung differenziert er vier Verständnisebenen: systemischer, psychologisches, situatives und handwerkliches Verständnis. Alle sollten von einer Führungsentwicklung abgedeckt werden.
  • Im „Kapitel 9: Systemische Organisationsberatung“ wählt zunächst wieder das ideal-theoretische Unternehmen als Ausgangspunkt der Betrachtung. Der Autor kommt so zu drei Schwerpunktbereichen systemischer Organisationsberatung: Untersuchung der „trivialen Komponente“ und der „nicht trivialen Komponente“ des Unternehmens, sowie die Ausrichtung auf Umweltkomplexität. Es geht um Beobachtung, Perspektivwechsel und Problemlösung, was für einen systemischer Berater nichts Neues ist. Abschließend beleuchtet Berning in diesem Kapitel noch die systemische Beratung als adaptives Interaktionssystem, das wir als „Beratungssystem“ kennen.
  • Der abschließende „Ausblick: Verstehen, Erkennen und Unterschieden“ in Kapitel 10 betont nochmals das Zusammenwirken trivialer und nichttrivialer Aspekte in Organisationen sowie die Bedeutung von Verstehen, Wahrnehmen und Unterscheiden bei Interaktion.

Das Fazit

Das Buch liefert ein interessantes Gedankenexperiment mit einer soziologischen Brille, die nicht eine rein Luhmann’sche ist und den Menschen als Unternehmensumwelt definiert. Vielmehr konstruiert der Autor ein Modell, das Menschen als komplex-adaptive Systeme in einem komplex-adaptiven System (dem Unternehmen) versteht. Für Praktiker ist das Buch über weite Strecken zu theoretisch, für Theorieinteressierte allerdings liefert es einige Denkanstöße. Liefert das Buch einen Erkenntnisgewinn? Für mich jedenfalls ist die Frage mit „Ja“ zu beantworten, da mir das Buch einige theoretische Denkanstöße gebracht hat, das eine oder andere in einem anderen Licht zu sehen. Dabei war es weniger das Konzept als Ganzes, sondern einzelne Facetten, die mich inspirierten. Gibt es Anstöße für die Praxis? Aus meiner Sicht „Jein“. Es hilft zwar dem theorieinteressierten Praktiker die Perspektive zu weiten, erfordert allerdings viel Transfersarbeit um diese dann im Unternehmensalltag umzusetzen. Ein wenig offen bleibt für mich die Frage, für wen und mit welcher konkreten Intension der Autor dieses doch recht theoretische Werk über das reine persönliche Erkenntnisinteresse hinaus verfasst hat. Und so sei das Buch auch vorrangig aus meiner Sicht Wissenschaftlern und theorieinteressierten Beratern und Führungskräften zur Inspiration empfohlen.

Berning, W. (2023). Soziologie der Unternehmung. Schäffer-Poeschel: Stuttgart.

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Anmerkung zur Transparenz: Das Buch wurde dem Autor dieses Artikels vom Verlag kostenlos zur Rezension zur Verfügung gestellt. Die Meinung des Autors ist hiervon jedoch nicht beeinflusst.