Dirigenten sind die Führungskräfte der Musik. Irgendwie sind sie bestimmend für das Endergebnis, irgendwie sind sie die Stars der Aufführung, aber sie fassen im Prozess kein Instrument selber an. Beim Suchen nach einer schönen Aufnahme der H-Moll Messe in Youtube stolperte ich über die Stile einiger verschiedener Dirigenten. Ich fand rasch eine Aufnahme, die mich in ihren Bann schlug, dirigiert von Jordi Savall.

YouTube

By loading the video, you agree to YouTube's privacy policy.
Learn more

Load video

Als ich danach Einzelaufnahmen einer besonders schönen Chorstelle suchte, fand ich dasselbe Musikstück dirigiert von unterschiedlichen Leuten. Keine dieser anderen Varianten sagte mir so recht zu.

YouTube

By loading the video, you agree to YouTube's privacy policy.
Learn more

Load video

YouTube

By loading the video, you agree to YouTube's privacy policy.
Learn more

Load video

 

Das war das erste Mal, dass ich über die Rolle des Dirigenten bewusst nachdachte. In Wien gibt es den Spruch, “der soll nicht so herumfuchteln, sonst spielen wir am Ende noch das, was er da dirigiert”, zugeschrieben Musikern der Wiener Philharmoniker. Über Geschmack lässt sich streiten. Aber was machte diese Aufnahme für mich so viel besser als die Anderen, fragte ich mich? Als ich darüber reflektierte fiel mir auf, dass der Savall fast nichts tut! Seine Bewegungen sind sparsam, die Musiker sehen kaum hin, es wirkt, als würde er sie in Frieden vor sich hin spielen lassen.

Einen Beweis fand ich hier:

YouTube

By loading the video, you agree to YouTube's privacy policy.
Learn more

Load video

Savall spielt dabei selbst mit, eine Gambe, und dem Titel nach dirigiert er auch. Aber wie? Das “dirigieren” findet für den Aussenstehenden fast gar nicht statt. Ein Kopfnicken hier, eine Armbewegung da… im Wesentlichen “dirigiert” er, indem sich die Musiker des Ensembles sich auf ihn ausrichten. Das, stellte ich fest, macht auch den Unterschied im großen Orchester und Chorstück aus.

Sie wirkt auf mich so, als würde sie versuchen, die Musik “zu machen”, obwohl sie kein Instrument in der Hand hält. In diesen späteren, lauteren Stücken der H-Moll Messe wirkt Savall fast noch stiller. 

YouTube

By loading the video, you agree to YouTube's privacy policy.
Learn more

Load video

Er, wie auch seine Musiker, wirkt völlig versunken in das Stück. Ich glaube das macht den Charakter dieser Interpretation aus, der mir so zusagte. Alle sind harmonisch aufeinander eingespielt und er koordiniert, wo Koordination nötig ist. Angenommen, die Metapher “Führungskräfte sind wie Dirigenten” wäre wirklich zulässig. Dann bin ich mir sicher, die Entscheidungen welche Musiker er einstellt, was in den Proben passiert und wie Savall die Beziehung zu seinen Musikern pflegt ist entscheidender als das, was er tatsächlich in der Aufführung “tut”. Die Aufführung ist das Ergebnis vieler Entscheidungen, die Wenigsten davon explizit und sichtbar. Trotzdem kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, Savalls Musiker mögen ihn und er zollt ihnen Respekt.

Wäre die Metapher passend, könnte ich es nicht besser ausdrücken als Benjamin Zander hier:

“Now, I had an amazing experience. I was 45 years old, I’d been conducting for 20 years, and I suddenly had a realization. The conductor of an orchestra doesn’t make a sound. My picture appears on the front of the CD — (Laughter) — but the conductor doesn’t make a sound. He depends, for his power, on his ability to make other people powerful. And that changed everything for me. It was totally life changing. People in my orchestra came up to me and said, “Ben, what happened?” That’s what happened. I realized my job was to awaken possibility in other people. And of course, I wanted to know whether I was doing that. And you know how you find out? You look at their eyes. If their eyes are shining, you know you’re doing it.”

Ich fürchte, besser kann man es nicht sagen. (Video)