Change Management (nicht so) leicht gemacht (3): Von Aggregatszuständen, Zeitbegriffen und Selbstähnlichkeiten

Klassische Change Paradigmen

Das klassische “unfreeze-move-refreeze” Paradigma und das Modell der 5 Leidensphasen haben sich in weiten Teilen im Change Management als Mainstream etabliert. Um einen anderen Blick auf die Dinge zu werfen, hier als gemeinsame Basis die Grundideen der beiden Ansätze:

 “Unfreeze-Move-Refreeze” von Kurt Levin

Entwickelt von Kurt Levin vor dem Hintergrund kultureller und sozialer Veränderungsprozesse in einer Gesellschaft wurde das 3 Phasenmodell von Edgar Schein auch in den organisationalen Kontext übertragen. In Phase 1, dem “Auftauen”, erfolgt eine Vorbereitung der Veränderung. in einer zweiten Phase “Bewegen”, erfolgt eine durch Eingriffe, Training und Überwachung gekennzeichnete Veränderung. Schließlich erfolgt in Phase 3, dem “Einfrieren”, dann die nachhaltige Verankerung der neuen Prozesse durch weitere konsequente Überwachung.

[1]

“Five Stages of Grief” von Elisabeth Kuebler-Ross

Von der Psychologin Kuebler-Ross zur Beschreibung des Verhaltens von Einzelpersonen in einer unabwendbaren Todessituation (Krebskranke) entwickelt, wurde das Modell bald für die generelle Bewältigung extrem schwieriger Situationen generalisiert. Kuebler-Ross unterscheidet zwischen fünf Phasen der Problembewältigung (DABDA-Modell): Denial (Leugnung) -> Anger (Zorn/ Ärger) -> Bargaining (Verhandlung) -> Depression -> Acceptance [2]

Während das Levin Modell eher die organisationale Ebene beschreibt, bezieht sich das DABDA Modell eher auf die Individualebene. Beiden Modellen gemeinsam ist es, dass die Phasen “aktiv” durchlaufen werden bzw. aktiv zu durchlaufen sind. Die Organisation bzw. der Einzelne schreitet quasi entlang eines Weges durch die Zeit. Der zu ändernde Zustand wird als eine eher längerfristig stabile Situation der Vergangenheit verstanden, die in einen neuen, wiederum eher längerfristig stabilen Zustand überführt werden muss. Diese Sichtweise ist heute die gängigste im Change Management.

Iter, Flux und Verfestigung von Strukturen

Eine wertvolle Erweiterung dieser Sichtweise im Change Management können die unterschiedlichen Zeitbegriffe bringen, wie sie in SySt Verwendung finden. [3] So wird Zeit nicht immer gleich empfunden. Die obigen Sachverhalte werden hierbei mit dem sogenannten “Iter”-Modus bezeichnet. Dieser beschreibt den Zustand, in dem wir uns “aktiv” durch die Zeit bewegen. Greifbar wird dies in Formulierungen wie, “Wir haben den alten Prozess hinter uns gelassen und sind in die neue Phase der Zusammenarbeit eingetreten.” Eine andere Sichtweise ist der “Flux” Modus. Dieser lässt sich als eher “passiv” beschreiben. Die Zeit “fliesst” quasi an uns vorbei. Dies wird in Aussagen deutlich, wie “Da Jahr ist schnell vergangen.” oder “Viele Dinge sind im Projekt passiert, auf die wir reagieren müssen.”. Dies macht die Kontinuität der Zeit und eine eher beschränkte Einflussmöglichkeit deutlich.

Unter diesem Blickwinkel betrachtet, können Veränderungen in Organisationen nicht als eine “Aufbrechen” eines stabilen Zustandes und “Überführen” in einen neuen Zustand gesehen werden, sondern genau umgekehrt:  Unternehmen sind ständig, täglich Veränderungen und Wandel unterworfen. Durch äußere und intere Einflüsse und Erwartungen verändern sich Rollen, Prozesse, Strukturen, Handeln, Entscheidungen kontinuierlich und auch ohne äußere Change Programme. Vielleicht ist es nützlich, die Zustände als “kristalline Verfestigungen” von ständiger Veränderung zu begreifen.

Unter dieser Brille geht es damit nicht darum, von einem stabilen Zustand zum nächsten zu kommen, sondern vielmehr die Unterschiede aufzuzeigen, die sich im Veränderungsprozess als nützlich und erhaltenswert herausstellen. Durch die Betonung dieser Unterschiede kristallisiert sich quasi als Ergebnis der neue Wunschzustand von alleine heraus. Der Fokus wandelt sich vom Problem im Ist und gewünschten Ziel hin zu zum Veränderungsprozess selbst, der durch Verstärkung des Nützlichen, des Positiven die neue Struktur, den neuen Prozess formt.

Anwendung im Change Management

Doch was heißt dies für erfolgreiche Veränderungsprogramme? Zwei Aspekte möchte ich herausgreifen: Selbstähnlichkeit von Veränderungsprogramm und dem Verhalten der Organisation selbst sowie iteratives Vorantasten als Konsequenz.

Selbstähnlichkeit

Vor dem Hintergrund des Gesagten können auch Changeprogramme neu gedacht werden: Changeprogramme versuchen bestimmtes Verhalten, sei es konkretisiert in Vorgehensweisen, Entscheidungsregeln, Prozessen, etc. zu verändern. Da Changeprogramme, sollen sie denn funktionieren, neben dem Berater mit internen Mitarbeitern besetzt sind, liegt eine Art Fraktal vor. So äußerst sich meist das zu ändernde Verhalten gerade auch im Changeprogramm selbst. Wenn ein Changeprogramm z.B. eine sträkere Innovationskraft eines Bereichs anstrebt, so fehlt es dem Programm oft an dieser; wenn es eine stärkere Dezentralisierung anstrebt, so werden gerade diese Veränderungsprogramme sehr hierarchisch und zentralisiert aufgesetzt und gesteuert. Gute Changeprogramme sehen dieses Dilemma und arbeiten gezielt mit diesen, um über Selbstreflexion und Selbstähnlichkeit bereits von Anfang an Veränderungen in der Organisation zu erreichen und so den Beginn des Kristallisationsprozesses des neuen gewünschten Zustands zu starten.  Bereits von Beginn an sind konsequent gewünschte Ziele und Veraltensweisen, die zunächst erst das Ergebnis den Vorhabens sein sollen, mitzudenken und in den Setup, die Struktur und das Vorgehen des Programms einzubauen.

Iteratives Vorantasten

Dies führt aufgrund ebenso dazu, dass neben der eher strategisch-visionären Sicht, das gewünschte Veränderungs-Ergebnis des Programms auf einer Metaebene von Beginn an mitzudenken und im Changeprogramm zu verankern, auf operativer Ebene ein eher iteratives Vorgehen angebracht scheint. Um einen neuen Zustand “herauszukristallisieren” und wünschenswerte Verhaltensweisen und Entscheidungen im Unternehmen nachhaltig zu verankern, ist ein Prozess nötig, sich vom klassischen Vorgehen Problemanalyse, Konzeptentwicklung, Pilotierung, Implementierung/ Changemanagement unterscheidet. Er stellt keine sequenzielle Abfolge dar, sondern vielmehr ein parallelisiertes, iteratives vorgehen, das einem “Design Thinking Prozess” näherkommt. Dabei werden von Beginn des Changeprogramms an vorteilhafte Verhaltensweisen identifiziert, innerhalb des Programms verfestigt und dann im Unternehmen sichtbar gemacht und so zur Nachahmung angeregt. Der Kristalisierungsprozess erfolgt somit schrittweise,  in einem Prozessübergang, vergleichbar mit der Eisschollenbildung an den Polkappen, die sich dann zu größeren Flächen und dann schließlcih zu einer geschlossenen Eisdecke verfestigen.

Die Vorgehensweise und Ideen haben wir erfolgreich in Veränderungsprozessen eingesetzt und sehen hier eine deutliche Beschleunigung von veränderungsprozessen, eine Akzeptanzsteigerung auf breiter Basis sowie die Möglichkeit eine nachhaltigen Verankerung neuer Verfahren und Vorgehensweisen in Unternehmen.

Dieser Beitrag beendet die dreiteilige Serie zum Thema Changemanagement. Über Anmerkungen, Kommentare, Fragen und Diskussion bin ich dankbar.

Quellen:

[1] http://de.wikipedia.org/wiki/3-Phasen-Modell_von_Lewin

[2] http://en.wikipedia.org/wiki/Five_Stages_of_Grief

[3] Varga von Kibéd, M., SySt®-Zeitkanalarbeit – Der Wechsel zwischen Iter und Flux, Zeitschrift Systemischer, Vol. 1, H. 1, 2012

 

Links zu anderen Teilen der Reihe:

Change Management (nicht so) leicht gemacht (1): Von Helden, Sternenkriegern und Drachentötern

Change Management (nicht so) leicht gemacht (2): Von Schauspielern, Zuschauern und Regisseuren

Change Management (nicht so) leicht gemacht (3): Von Aggregatszuständen, Zeitbegriffen und Selbstähnlichkeiten