Graswurzelinitiativen - Vahlen - Kluge - xm-institute - Dr. Oliver MackHeute geht es um ein neu erschienenes Buch im Vahlen Verlag, das in Windeseile an Interesse und positiver Resonanz gewonnen hat. Daher umso mehr ein Grund, einmal etwas genauer unter die Lupe zu nehmen.

Das Autorenehepaar Kluge ist auch bereits vor diesem Werk kein Unbekanntes. Mit Ihrem Unternehmen Kluge+Konsorten kennt man das Paar auch als Berater oder in persona als Speaker und Autoren in der Szene rund um New Work, WOL oder Digitalisierung schon seit längerem. In ihrem gerade erschienenen ersten Buch haben sie nun der Thema “Graswurzelinitiativen” mit dem Untertitel “Wie Veränderungen aus der Mitte des Unternehmens entstehen – und wie sie erfolgreich sein können” unter die Lupe genommen.

Es geht dabei um Aktivitäten und Transformationsinitiativen, die  nicht von “oben” durch Führungskräfte, sondern vielmehr durch einzelne oder wenige Mitarbeiter, häufig zunächst völlig unter dem Radar der offiziellen Bahnen ins Rollen gebracht werden. Häufig aus der individuellen Überzeugung einzelner heraus, die ihr Unternehmen lieben, die die Tradition des Unternehmens und seiner Gründer wertschätzen und daher zur Veränderung mobilisieren wollen. Ein wichtiges Buch, das in dieser Form viel zu lange auf sich warten ließ. Das Lesen des Buches hat mir viel Freude bereitet und es ist gefüllt mit jeder Menge an konkreten Beispielen aus den Big Names der Großkonzerne in Deutschland: Daimler, Siemens, Evonik, Telekom, Bosch und andere.

Doch vor einem Fazit der Reihe nach und erst mal etwas tiefer in den Inhalt geschaut.

Das Buch gliedert sich in vier oder besser sogar vielleicht fünf Teile. Bleiben wir bei 0 bis 4, wobei ich auf die 0 am Ende noch kurz eingehen möchte:

Im Kapitel 1, der Einleitung geht es auf knappen zwölf Seiten zunächst um den “Need” des Buches im Sinne des sich verändernden Umfeldes und der damit verbundenen Notwendigkeit zur Veränderung in Richtung einer neuen Arbeitswelt.

Kapitel 2 beschäftigt sich dann mit der Frage, was denn Unternehmenskultur generell bedeutet, ob sie denn tatsächlich veränderbar ist, und was der Begriff der Graswurzelbewegung denn damit konkret zu tun hat.

Der Hauptteil des Buches, Kapitel 3 mit rund 130 Seiten beschreibt dann anhand vieler Beispiele und Facetten entlang eines Art Lebenszyklus das Phänomen “Graswurzelinitiativen”. Es startet mit dem Nährboden, der notwendig ist, so dass Graswurzelinitiativen entstehen können. Dann wird das Wachstum der Initiative in verschiedenen Stufen beschrieben… wer kennt es nicht, das Video, das vor einigen Jahren auf YouTube kursierte, vom einzelnen Tänzer am Hügel, zu dem sich nach einiger Zeit immer mehr Verbündete gesellen, bis schließlich der ganze Hügel tanzt. Es geht ferner um Widerstände, die eine Initiative dieser Art aushalten muss, um Multiplikatoren, Sponsoren und Mentoren, sowie die Frage, ob und wie sich solche Initiativen in einen Regelbetrieb überführen lassen und in die “offiziellen” Unternehmensstrukturen integrierbar sind. Jedes Unterkapitel ist mit zahlreichen Beispielen aus vorwiegend deutschen Großkonzernen hinterlegt. Phänomene werden beschrieben und viele Impulse für eigene Graswurzelinitiativen gegeben. Viel Praxis, viele Ideen, viele Facetten.

Im letzten, dem vierten Kapitel erfolgt dann im ersten Unterkapitel doch noch der Versuch einer für mich so wichtigen theoretischen Einordnung des Themas in Form eines eher losen Fragen – Antwort – Spieles: Judith Muster, Partnerin bei der Beratung Metaplan und Research Assistant an der Universität Potsdam am Institut bei Prof. Maja Appelt liefert in Form eines Nachwortes auf vier knappen Seiten Gedanken zu drei wichtigen Problemen: (1) Gruppenbildungen in Organisationen und Stabilisierungstendenzen, (2) die Bedeutung der Zusammensetzung der Gruppe anstatt ihrer Größe und (3) die Bedeutung des Kontextes, in dem sich die Initiative bewegt anstatt der Eigenschaften der Treiber der Initiative. Leider wurde auch hier auf eine detaillierte Aufarbeitung der vorhandenen Forschung zu diesem Thema verzichtet, aber dennoch sehr wertvolle Einblicke gegeben. In weiteren Untertkapiteln kommen den ausgewählte Protagonisten von Graswurzelinitiativen in Großkonzernen in Kurzfragebögen zu Wort. Eine kurze Literaturliste rundet das Buch ab.

Alles in allem ein sehr gelungenes Praktikerbuch zu einem aktuellen und spannenden Thema, mit viel konkreten realen Beispielen, vielen Ideen und vielen Facetten. Für Berater ist das Buch eher informativ zu sehen, da Graswurzelinitiativen ja doch eher im “Verdeckten” in Organisationen, ohne Budget und zunächst ohne viel formelle Sichtbarkeit entstehen. Für Revolutionäre und Aktivisten aus den Reihen von Großkonzernen jedoch, bietet das Buch viel Anleitung zum Aktivwerden und überlegten Handeln, so dass sinnvolle und fördernswerte Initiativen nicht bereits zu Beginn durch die Organisation im Keim erstickt werden. Doch halt, ich habe noch das Kapitel “0” vergessen. Es beinhaltet ein schönes Vorwort zum Buch von Dr. Thomas Sattelberger, einem Pionier in Sachen New Work, mit dem ich dankenswerterweise bereits zu Beginn seiner langen und erfolgreichen Karriere vor vielen Jahren für wenige Monate einmal näher zusammenarbeiten durfte und der wie kein anderer mit seinem Plädoyer zur Eigeninitiative in Unternehmen die Idee zu Graswurzelinitiativen unterstützt. Und ein Vorwort, in dem sich die Autoren für die Unterstützung der Mitwirkenden bedanken, die halfen, Ihre Gedanken, Ausführungen und Beobachtungen ordneten und in Form brachten. Dies ist für mich auch das kleine Manko, das ich zu diesem Buch anmerken möchte: Es zeichnet sich durch viel reinen Text und fehlende strukturelle Schaubilder aus. Im Layout finden sich vorrangig groß gedruckte Zwischenstatements zur Auflockerung. Beim Lesen hatte ich dann an der einen oder anderen Stelle ob der vielen Informationen und dargestellten Aspekte das Gefühl, dass es sich auch beim Text selbst um einzeln Textbausteine handelt, die in möglichst logischer Art und Weise zusammengereiht wurden. Dieses Unterfangen wäre dann in den meisten Fällen, aber nicht immer gut gelungen. Auch hätte ich mir persönlich etwas mehr Einbettung in die aktuelle Fachliteratur und Forschung gewünscht. Doch das Thema, der Inhalt, der spritzige Schreibstil und die vielen Praxisbeispiele machen für mich persönlich dieses kleine Manko bei Weitem wieder wett.

Somit eine klare Leseempfehlung für den Herbst und Glückwunsch an die Autoren zu diesem Buch.

Kluge, S., & Kluge, A. (2020). Graswurzelinitiativen in Unternehmen: Ohne Auftrag–mit Erfolg!: Wie Veränderungen aus der Mitte des Unternehmens entstehen–und wie sie erfolgreich sein können. Vahlen.

 

Anmerkung zur Transparenz: Das Buch wurde dem Autor dieses Artikels vom Verlag kostenlos zur Rezension zur Verfügung gestellt. Die Meinung des Autors ist hiervon jedoch nicht beeinflusst.