Die Autorinnen und das Buch
Das vorgestellte Buch trägt den vollständigen Titel “Handbuch Kollektive Führung – Ein Praxisleitfaden für die Selbstorganisation” und ist kürzlich bei Vahlen erschienen. Die beiden Autorinnen Lea Böhm und Frederike Eugens sind Gründerinnen der “Alles Roger” Beratungsboutique und begleiten Organisationen und Teams bei Veränderungsvorhaben. Während Lea Böhm ursprünglich aus einem Controlling Hintergrund heraus in die Beratung gewechselt ist, kommt Frederike Eugens aus der Psychologie. Auch betreiben die beiden Autorinnen den Podcast “Kollektive Führung im Gespräch”. Eine gute Kombination, so meine ich.
Wir haben in der Vergangenheit bereits andere Bücher derselben Thematik auf unserem Blog rezensiert:
- Pukall (2024). Selbstorganisation im Team. Vahlen.
- Brinkmann/ Schattenhofer (2023). Erfolgreiche Teams in der Selbstorganisation. Vahlen.
- Puckett (2021). Moderne Führung und Selbstorganisation. Haufe.
- Eilers (2021). Crashkurs Selbstorganisation in agilen Teams. Haufe.
Und so stellt sich zum Einstieg die Frage, was das vorliegende Buch von den anderen unterscheidet und ob es diese überhaupt noch braucht. Bevor wir diese Frage beantworten, schauen wir uns einmal die Struktur und Inhalte genauer an.
Die Inhalte
Das Buch umfasst gute 290 Seiten und beinhaltet zahlreiche Abbildungen, Tabellen und Workshop-Design-Darstellungen. Diese sind alle eher schlicht in schwarz-weiss gehalten, so wie auch das gesamte Buch daherkommt. Es verzichtet auf ein Vorwort und steigt direkt in die vier Kapitel ein und schließt mit einer vierseitigen Literaturliste, einem Index und einer “Über die Autorinnen”-Seite. Die drei Kapitel sind jeweils zur besseren Strukturierung in Unterkapitel gegliedert. Kapitel 3 macht dabei mit den 7 Gestaltungsprinzipien mit knapp 220 Seiten den Hauptteil des Buches aus. Doch der Reihe nach:
- Kapitel 1: Warum kollektive Führung das richtige Organisationsmodell für euch ist: Dieses Kapitel legt den Grundstein und motiviert zur Selbstorganisation und kollektiven Führung. Für die Begründung der Selbstorganisation wählen die Autorinnen dabei den Weg, sie als Evolution zur klassischen Profit und Hierarchie-Orientierung hin zu einem Modell, das den Purpose in den Mittelpunkt stellt und neben der Idee der Standardisierung auch Geschwindigkeit und Innovation umsetzt. Ebenso führen sie in ihre sieben Prinzipien kollektiver Führung ein, die sie auf die Theorie der Allmende von Elinor Ostrom zurückführen. Abschließend stellen sie das Grave’s Spiral Dynamics Modell ein und machen so den von ihnen verfolgten auf Entwicklung basierenden Ansatz deutlich.
- Kapitel 2 – Von der Führungskraft zur Kollektiven Führung – Eine Anleitung für die Gestaltung der Übergangsphase: Auf 20 Seiten werden hier auf Basis der Kontextbrücke von Oesterreich/ Schröder und aus dem Blickwinkel der Führungskraft und des Teams Herausforderungen und Ideen diskutiert, die der Übergang von einer personen-geführten hin zu selbstorganisierten Teams und rollenbasierten Führung mit sich bringt. Die sonst auf die Führungsperson konzentrierten Aufgaben werden in verschiedene Themen und Rollen zerlegt und so auf die Teammitglieder aufteilbar.
- Kapitel 3 – Kollektive Führung gestalten mit sieben klugen Prinzipien: In diesem Kapitel werden nun die 7 Gestaltungsprinzipien vorgestellt. Vorab liefern Böhm/ Euwens einen Fragebogen zur Selbsteinschätzung und einen Vorschlag für einen Fahrplan zur Umsetzung.
- Gestaltungsprinzip 1: Gemeinsame Identität: Dieses Prinzip schafft Zusammenhalt und Zugehörigkeit. Neben einer kurzen Einführung liefern die Autorinnen einen Methodenkoffer und Workshopabläufe zur Bearbeitung der Identität des Teams. Es geht um Fragen, wie Purpose, Werte, und auch so handfeste Dinge wie die Bürogestaltung. Hier wie auch in den Folgeprinzipien wird ebenso eine Rolle definiert, die im Team vergeben werden kann und kontinuierlich ein Auge auf das jeweilige Prinzip werfen kann.
- Gestaltungsprinzip 2: Entscheidungen für Klarheit und Dynamik: Hier geht es um die Frage nach Entscheidungen und wie diese im selbstorganisierten (SO) Team getroffen werden können. Ähnlich wie beim Prinzip 1 werden hierzu zunächst die Grundlagen zu Entscheidungen erläutert, dann ein Methodenkoffer bereitgestellt, die wichtigsten Entscheidungsverfahren vorgestellt (Konsens, Widerstand, Advice/ Kollegiale Beratung) und abschließend die zugehörige Rolle definiert.
- Gestaltungsprinzip 3: Transparenz für Motivation, Fokus und Integrität: Transparenz ist in einem SO Team unumgänglich. Sie dient, wie die Böhm/ Euwens vorstellen der gemeinsamen Richtung, der Messung der Wirkungen im Team, den Heben von Teamsynergien und auch dem Ausschluss des “Trittbrettfahrens”. Auch hier gibts wieder Methodenkoffer und Rolle.
- Gestaltungsprinzip 4: Feedback und Konsequenzen: Dieses Kapitel greift Feedback-geben und Feedback-nehmen als wichtige Aufgabe und Prinzip auf. Wie dies auf individueller Ebene und auf Teamebene, auch strukturell und kulturell gelingen kann, beschreibt dieses Unterkapitel.
- Gestaltungsprinzip 5: Selbstbestimmung für hohe Autonomie: Hier gehts um die rollen basierte Arbeit und die Arbeit in Kreisen. Der Methodenkoffer beschreibt die Gestaltung von Kreisen und Kreismeetings.
- Gestaltungsprinzip 6: Gerechtigkeit für ein stabiles Fundament und den Seelenfrieden: Zunächst beschreiben die Autorinnen verschiedene Arten des Gerechtigkeitsbegriffs und wie wichtig die Beschäftigung im Team mit dem Begriff und dessen Klärung ist. Auch hier liefern Methodenkoffer und Rollenbeschreibung wertvolle Hinweise.
- Gestaltungsprinzip 7: Konfliktlösung für Weiterentwicklung statt Harmonie: In diesem Unterkapitel gibts einen kurzen Abriss zum Umgang mit Konflikten.
- Als “8. Prinzip” beziehen sich die Autorinnen dann nochmals auf Ostrom, das den Blick weg von Organisation und Team hin zur Gesellschaft wendet. Es kann als Ausblick verstanden werden.
- Kapitel 4: Bevor ihr loslegt – Voraussetzungen & “gut zu wissen”: Abschließend liefern die Autorinnen dann ihre Einschätzungen zur Beraterbegleitung im Prozess und zur Notwendigkeit von “psychologischer Sicherheit” als Basis der Umsetzung.
Das Fazit
Aufgrund der Vielzahl bereits vorhandener Bücher zum Thema ging ich zunächst verhalten ans Lesen. Auch das konservative Layout hatte mich nicht wirklich angesprochen. Und dennoch muss ich sagen, die erste Überwindung hat sich wirklich gelohnt. Ich wurde von einem Buch überrascht, das von viel Praxiserfahrung zeugt und viele sehr detaillierte und praxisnahe Tipps, Methoden, Übungen bis hin zu Workshopdesigns bereitstellt. Hat man sich erst mal in Struktur und Layout eingefunden, findet man sich auch beim Nachschlagen schnell zurecht. Inhaltlich hat das Buch wirklich einen zentrale Platz in der “Selbstorganisations-Literatur” verdient und es bleibt zu hoffen, dass das Layout hier nicht allzu sehr abschreckt. Hätte das Buch eine fancy-bunti Optik hätte es aus meiner Sicht das Zeug zum Bestseller. Und so ist das Buch eine uneingeschränkte Empfehlung für Agile Coaches und interne Berater ebenso, wie Teams und Führungskräfte, die SO Teams auf ihrem Weg begleiten wollen. Auch Berater in diesem Feld werden hier reichhaltig fündig. Ich jedenfalls wünsche diesem “verstecken Kleinod” jedenfalls viel Markterfolg.
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Anmerkung zur Transparenz: Das Buch wurde dem Autor dieses Artikels vom Verlag kostenlos zur Rezension zur Verfügung gestellt. Die Meinung des Autors ist hiervon jedoch nicht beeinflusst.
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