Heute geht’s um ein Modell, das wohl 100% der Berater in irgendeiner Form schon einmal gelesen, erlebt oder vielleicht auch in einem Training verwendet haben. Und Führungskräfte vielleicht dort bereits in den 1970er oder auch erst kürzlich dort vermittelt bekommen haben: Tuckman’s Teamentwicklungsphasenmodell. Doch die Geister streiten sich, die einen nutzen es heute noch als Basismodell in Trainings und Teamentwicklungen, die anderen behaupten, dass längst nachgewiesen sein, dass es nicht stimmt. Was denn nun?
Das Modell und seine Geschichte
Tuckman’s Teamphasenmodell beschreibt die verschiedenen Entwicklungsstadien, die ein Team durchläuft, um eine effektive Zusammenarbeit zu erreichen. Das Modell wurde 1965 von Bruce Tuckman entwickelt und umfasst ursprünglich vier Phasen, zu denen später eine fünfte hinzugefügt wurde:
- Forming (Formierungsphase): In dieser Phase finden sich die Teammitglieder zusammen, lernen sich kennen und orientieren sich an den Aufgaben und Zielen. Die Rollen sind oft unklar, und es herrscht Unsicherheit darüber, wie die Zusammenarbeit aussehen soll.
- Storming (Konfliktphase): Hier treten Konflikte auf, da die Teammitglieder beginnen, ihre Positionen und Rollen zu klären. Unterschiedliche Meinungen, Arbeitsweisen und Persönlichkeiten führen zu Spannungen. Diese Phase ist entscheidend, um Machtstrukturen und Verantwortlichkeiten zu etablieren.
- Norming (Normierungsphase): Nach der Konfliktphase beginnt das Team, Regeln und Normen für die Zusammenarbeit zu entwickeln. Die Teammitglieder akzeptieren ihre Rollen, und es entsteht ein Gefühl von Zusammenhalt. Die Zusammenarbeit wird produktiver und harmonischer.
- Performing (Leistungsphase): In dieser Phase arbeitet das Team effizient und zielgerichtet zusammen. Die Aufgaben werden auf hohem Niveau erledigt, und das Team hat sich als Einheit etabliert, die in der Lage ist, Herausforderungen gemeinsam zu bewältigen.
- Adjourning (Abschlussphase): Diese Phase wurde später hinzugefügt und beschreibt das Ende der Teamarbeit, wenn das Projekt abgeschlossen ist. Die Teammitglieder lösen sich auf, was oft zu einem Gefühl des Verlusts führen kann, aber auch Raum für neue Projekte schafft.
Bruce Tuckman war Psychologe, der sich intensiv mit Gruppen und Teamdynamik beschäftigte. Das Modell entstand 1965 durch die Studie “Developmental Sequence in Small Groups”, in der er nicht selbst spezifische Teams oder Gruppen untersuchte, sondern in Form einer Metastudie andere empirische Forschungsarbeiten auswertete. Dabei ging es nicht um Teams in Organisationen, sondern vor allem Therapiegruppen, T-Gruppen aus der Gruppendynamik-Forschung und Gruppen in experimentellen Laborsettings. Hieraus leitete er sein Modell ab.
Ähnlich wie bereits beim Trauerphasenmodell von Elisabeth Kübler-Ross wurde das Modell erst später “zweckentfremdet” und auf den Organisationskontext sicherlich auch aufgrund seiner einfachen und einprägsamen Logik übertragen.
Mist oder Gold?
Das Tuckman Modell stand schon von Anbeginn an unter Kritik, was jedoch seinem Erfolg bis heute offenbar nicht im Weg stand. Die größten Kritikpunkte sind:
- Lineare Abfolge der Phasen: Das Modell geht von einer festen, linearen Reihenfolge der Phasen aus, was oft nicht der Realität entspricht. Teams können Phasen überspringen, wiederholen oder zurückfallen.
- Kontextabhängigkeit: Das Modell berücksichtigt nicht genügend, dass Teams in unterschiedlichen Kontexten arbeiten. Faktoren wie die Art des Teams oder organisatorische Strukturen können die Teamdynamik erheblich beeinflussen.
- Vernachlässigung von Individuen und Machtverhältnissen: Tuckman konzentriert sich auf das Team als Ganzes und beachtet individuelle Persönlichkeiten oder Machtstrukturen kaum. Diese spielen aber oft eine entscheidende Rolle in der Teamentwicklung.
- Fehlende empirische Bestätigung: Es gibt nur begrenzt empirische Studien, die das Modell bestätigen. Viele Teams zeigen abweichende Phasenentwicklungen oder funktionieren trotz ungelöster Konflikte.
- Erweiterte Modelle: Einige Forscher haben das Modell modifiziert oder erweitert, um es realistischer zu machen. Zyklische Ansätze oder zusätzliche Phasen wie „Adjourning“ berücksichtigen die Komplexität von Teams besser.
- Alternative Modelle: Andere Modelle, wie das „Punctuated Equilibrium Model“ oder die „Input-Process-Output“-Modelle, bieten alternative Ansätze. Diese konzentrieren sich stärker auf plötzliche Veränderungen oder soziale Prozesse in Teams.
Auf der Positivseite steht die Einfachheit und der intuitive Rahmen des Modells, der TrainerInnen, BeraterInnen und Führungskräften gleichermaßen ein pragamtisches Tool an die Hand gibt. Wohl deswegen ist es auch immer noch ein wesentlicher Bestandteil vieler Trainings und Schulungen. Und so kommt es wie bei allen Modellen auch hier nicht darauf an, ob das Modell generell Mist oder Gold ist, sondern vor allem wie es vermittelt wird. Alle Modelle sind vereinfachend, doch es gibt unnütze und nützliche. Werden vereinfachende Modelle als Wahrheit vermittelt, wirds schwierig, werden wichtige ergänzende Informationen zusätzlich mitgegeben, kann sich auch das Tuckman Modell als nützlich zeigen.
Die Storming Phase als wichtiges Dauer-Thema in VUCA Zeiten
Wie wir gesehen haben ist das Modell in vielerlei Hinsicht mit Vorsicht zu genießen. Uns am xm-institute und mich beschäftigt natürlich seine linear angelegte Grundhaltung, die die Natur komplexer Systeme und eine komplexische Sichtweise nicht widerspiegelt. Auch die Weiterentwicklung, die diese Linearität abmildert, indem sie ein hin- und herspringen zwischen den Phasen zulässt, ist aus dieser Sicht heraus unbefriedigend.
Neuere Forschungen hinterfragen vor allem diesen Punkt generell oder in agilen Kontexten. Gerade die Storming Phase sollte man hier genauer ansehen. Sie hat nach Tuckman vor allem die Aufgabe durch Konflikte die Machtstrukturen und Verantwortlichkeiten im Team so zurechtzurütteln, um als Team in einen produktiven Arbeitszustand bringen zu können. Doch wäre dies zu kurz gesprungen. Die Storming-Phase hat in der Regel eine wesentlich bedeutendere Funktion in Teams und es deutet vieles inzwischen darauf hin, dass gerade sie zum wesentlichen Gelingen von Teams beiträgt:
Die Storming-Phase ist nicht nur eine einmalige Hürde, sondern kann eine kontinuierliche Rolle in der Teamdynamik spielen, besonders in agilen und sich schnell verändernden VUCAUmgebungen. Studien zeigen, dass Konflikte und Meinungsverschiedenheiten in Teams, wenn sie richtig angegangen werden, zu einem ständigen Lernprozess führen und die Teamleistung verbessern können. Statt die Storming-Phase als etwas zu sehen, das nur überwunden werden muss, erkennen neuere Ansätze, dass wiederholte Konflikte den Weg für Innovation und kontinuierliche Verbesserung ebnen.
Führungskräfte und Teams, die sich dieser Dynamik bewusst sind, fördern offene Kommunikation und schaffen Strukturen, um Konflikte produktiv zu lösen. Dies hilft dem Team, flexibler und widerstandsfähiger zu werden und sich kontinuierlich anzupassen. Dies ist besonders in agilen Arbeitsumgebungen relevant, wo Konflikte oft entstehen, wenn Teams sich auf sich ändernde Anforderungen und Ziele einstellen müssen. Es geht also um ein kontinuierliches Spannungsmanagement in Teams.
Umgang mit Spannungen als Führungs- und Teamkompetenz
Das Management von Spannungen ist somit gerade in VUCA Welten eine wesentliche Kompetenz von Führungskräften. In unseren xm-institute Leadership-Developments helfen wir Führungskräften nicht nur die so wichtige Ambiguitätstoleranz zu steigern. Wir helfen auch Teams mit Konzepten und Tools den Umgang mit Spannungen zu erleichtern und produktiv zu nutzen. In Ansätzen we diesen ist das Tuckman Modell nicht die Lösung, sondern der Ausgangspunkt, um tiefer in die Themen einer komplexisch(er)en Führung und Beratung einzusteigen.
Quellen:
Bonebright, D. A. (2010). 40 years of storming: a historical review of Tuckman’s model of small group development. Human Resource Development International, 13(1), 111-120.
Tuckman, B. W. (1965). Developmental sequence in small groups. Psychological bulletin, 63(6), 384.
Campbell, M. (2024). Recognizing and Navigating Storming in Team Development. Growth Tactics, June 6, 2024, https://www.growthtactics.net/storming-in-team-development/
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