Die AutorInnen und das Buch

Zwischen Inszenierung und Invisibilisierung - Richter - Groth - Rezension - Dr. Oliver Mack - xm-instituteDie Autoren des heutigen Buchs sind keine Unbekannten. Beide sind für swf – Simon Weber Friends unterwegs, einem systemischen Beratungskonsortium, das mit starker Thorieorientierung seit knapp 40 Jahren aktiv ist. Wie der Name sagt, findet sich der Nukleus bei Fritz B. Simon und Gunthard Weber, den Initiatoren der „Heidelberger Schule“. Torsten Groth hat schon zahlreiche spannende Werke veröffentlicht, unter anderem die “66 Gebote systemischen Denkens und Handelns in Management und Beratung”, welches wir bereits vorgestellt haben. In jüngster Vergangenheit veröffentlichte das Duo Torsten Groth und Timm Richter ebenso bereits “Wirksam Führen mit Systemtheorie”, welches ich ebenfalls für sehr lesenswert halte. Doch heute soll es um die Frage von Paradoxien gehen, wie es der Untertitel “Systemisches Paradoxienmanagement in Organisationen” des hier besprochen Werks verspricht.

“Ein Paradoxon (auch das Paradox oder die Paradoxie, Plural Paradoxa, Paradoxe bzw. Paradoxien; vom altgriechischen Adjektiv παράδοξος parádoxos „wider Erwarten, wider die gewöhnliche Meinung, unerwartet, unglaublich“[1]) ist ein Befund, eine Aussage oder Erscheinung, die dem allgemein Erwarteten, der herrschenden Meinung oder Ähnlichem auf unerwartete Weise zuwiderläuft oder beim üblichen Verständnis der betroffenen Gegenstände bzw. Begriffe zu einem Widerspruch führt.[2]” (Wikipedia, 2024)

Und Paradoxien gibt es im Alltag und in Organisationen viele. Diesem Thema gehen die Autoren in ihrem gut 140-seitigen Werk, das soeben bei Carl Auer erschienen ist, etwas genauer auf den Grund.

Die Inhalte

Das Buch ist neben Vorwort, EInleitung und 4-seitigem Literaturverzeichnis in acht Hauptkapitel mit zwei bis sechs Unterkapitel gegliedert. Schauen wir uns die einzelnen Kapitel etwas genauer an:

  • Kapitel 1: Das kann doch nicht wahr sein! – Begriffsklärung Paradoxie: Hier führen die Autoren in den Paradoxienbegriff ein und unterscheiden zwischen der logischen und pragmatischen Paradoxie. Letztere sind widersprüchliche „Aufforderungen, denen sich ein Beobachter nicht entziehen kann und die er als paradox beobachtet, sodass in seinem Erleben eine Ausweglosigkeit entsteht.“ (Richter/ Groth, 2024, 23) Gerade um diese geht es im Alltag und haben im Buch eine zentrale Bedeutung.
  • Kapitel 2: Beständige Begleiter – Über die Unvermeidbarkeit von Paradoxien in Erkenntnisprozessen: In diesem Kapitel entfalten die Autoren die These, dass sich Paradoxien in der Regel dann nicht vermeiden lassen, wenn Komplexität über Landkarten so von uns handhabbar gemacht wird, dass wir in ihr handlungsfähig bleiben. In einer konstruktivistischen Sichtweise existieren immer Paradoxien, die sich durch diese Modellbildung ergeben. Erkenntnisparadoxien werden dabei im Sinne eines „als ob“ inszeniert und andere „als Jobs“ invisibilisiert.
  • Kapitel 3: Wir haben keine Chance, die sollten wir nutzen – Funktion und Folgen von Erkenntnisparadoxien: Ohne Paradoxien keine Erkenntnisprozesse, so die Schlussfolgerung der Autoren in diesem Kapitel. Und so notwendig sie sind, fangen damit die Probleme an oder aber ermöglichen vielleicht hierdurch auch neue Sichtweisen.
  • Kapitel 4: Als ob man richtig entscheiden könnte: Nach einer Einführung zum Entscheidungsbegriff vertiefen die Autoren den Begriff der Entscheidungsparadoxie, nämlich, dass eigentlich ja nur „Unentscheidbares entschieden werden kann“, wie Heinz von Förster so schön sagte. Und da haben wir sie schon wieder, die Paradoxie. Wie dies dennoch gelingen kann? Dieses Kapitel untersucht Möglichkeiten und Grenzen.
  • Kapitel 5: Aus zwei mach vier – Die praktische Entfaltung von Paradoxien: Hier gehts nun bereits um systematische Lösungsideen. Das Tetralemma wird als Tool vorgestellt, um den Möglichkeitenraum des „Entweder – Oder“ zu erweitern und so vielleicht Paradoxien aufzulösen. Systematisch untersuchen die Richter und Groth hier auch wie das Tetralemma sowohl auf der Ebene des Entscheidens (wie wir es auch aus der SySt Schule kennen), wie auch dann, davon losgelöst, auf der Ebene der Kommunikation der Entscheidung. Hieraus ergeben sich dann drei typische Problemmuster sozialer Dynamiken bei der Bearbeitung von Paradoxien in Organisationen, die sie abschließend näher erläutern: Das Pseudo-Harmonie-Muster, das Splitting bzw. Boom/Bust-Muster und das Chaos Muster. Je nachdem was in der Organisation sozial „erlaubt“ ist, gestaltet sich die Kommunikationsdynamik und Konfliktbearbeitung unterschiedlich.
  • Kapitel 6: Womit entscheidend zu rechnen ist – Grundparadoxien in Organisationen: In diesem Kapitel spezifizieren Richter/ Groth in drei Bereichen die Grundparadoxien, die in Organisationen anzutreffen sind:
    • Um das Überleben der Organisation sicherzustellen, geht es (a) um das Innen (System) und Außen (Umwelt), (b) um Dynamik (Ereignisse) und Stabilität (Erwartungsstrukturen) und (c) Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.
    • Bei der Kopplung der Organisation an relevante Umwelten lohnt der Blick auf (a) Markt-/ Wettbewerbsumfeld durch Exploration und Exploitation, (b) die Mitglieder sowohl in ihren Rollenanforderungen, wie auch ihren Individualbedürfnissen und (c) die Integration und Differenzierung von Teilsystemen.
    • Schließlich wird die Einbindung von Teams behandelt.
  • Kapitel 7: Paradoxen praktisch am Wickel – (Meta-)Werkzeuge zur Paradoxiebearbeitung: Hier gehts schließlich um die Frage, welche Tools zur Bearbeitung von Paradoxien verwendet werden Können. Die Autoren stellen hierzu die Arbeit an der Unterschiedsbildung auf Basis von Spencer-Brown (7.1) ebenso vor, wie die Arbeit mit dem Paradoxiezirkel (7.2). Bei letzterem stellen sie auch umfangreiche Fragelisten mit nützlichen praktischen Fragen zur Verfügung.
  • Kapitel 8: Es bleibt paradox: Gebote des Paradoxienmanagements, die das Problem nicht lösen und genau deswegen brauchbar sind: In diesem abschließenden Kapitel werden blicken die Autoren nochmals auf das gesamt Buch zurück und formulieren hieraus 13 Gebote, die es bei der Arbeit mit Paradoxien zu beachten gilt.

Das Fazit

Am xm-institute lieben wir Paradoxien und die Arbeit mit selbigen schon seit längerem. Das Wissen als Grundlage hierzu war allerdings häufig sehr theorie-lastig (Frege, Russel., u.a.) oder vergriffen und daher schwer zu bekommen (wie das Buch von Gumbrecht/ Pfeiffer) oder kaum dokumentiert (wie etwa die Workshops von Varga von Kibéd, SySt®-Institut). Und so schließt das Buch eine schon lange sehr tief klaffende Lücke. Doch diese Beschreibung würde dem Buch nicht vollständig gerecht werden. Richter und Groth gelingt es mit ihrem Buch, Paradoxien auf pragmatische und dennoch theoretisch gut fundierte Art und Weise für die Beratung von Organisationen einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Neben der Unvermeidbarkeit von Paradoxien in der menschlichen Wahrnehmung und Kommunikation, die sie bereits zu Beginn ihres Buches ebenso betonen beschreiben sie auch vorzüglich, deren Präsenz in sozialen Systemen. Um trotz Unvermeidbarkeit entscheidungs- bzw. handlungsfähig zu bleiben, versuchen sie diese kontinuierlich gut zu inszenieren oder aber dezent zu ignorieren. Gelingt dies zu sehr, kann dies zur Erstarrung führen, bei zu wenig zu vehementen Konflikten. Doch die Autoren bleiben bei dieser Beobachtung nicht stehen, sondern liefern ein erfrischend klares wie praktisches Repertoire an Werkzeugen, die BeraterInnen zur Paradoxiebearbeitung einsetzen können. Und so möchte ich dieses vorzügliche und sehr gut lesbare Buch allen Organisations-BeraterInnen und OrganisationsentwicklerInnen wärmstens ans Herz legen. Auch Führungskräften, die etwas tiefer in die Materie einsteigen wollen, finden viele Reflexionspunkte und praktische Hinweise. Mit hat die Lektüre jedenfalls sehr gefallen. Mein Dank von Herzen geht an die beiden Autoren Timm Richter und Torsten Groth. Danke euch.

Richter, T./ Groth, T. (2024). Zwischen Inszenierung und Invisibilisierung. Carl-Auer: Heidelberg.

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Referenzen

Wikipedia (2024). Paradoxon. https://de.wikipedia.org/wiki/Paradoxon

Anmerkung zur Transparenz: Das Buch wurde dem Autor dieses Artikels vom Verlag kostenlos zur Rezension zur Verfügung gestellt. Die Meinung des Autors ist hiervon jedoch nicht beeinflusst.