Einleitung: Die Illusion des Wandels

Viele Organisationen starten Transformationsinitiativen in der Hoffnung, agiler, innovativer oder kundenorientierter zu werden. Doch trotz teurer Beratungsprojekte, Umstrukturierungen und vermeintlicher Unterstützung durch das Management bleibt echter Wandel oft aus oder kehrt sich sogar wieder um.

Craig Larman, ein führender Experte für großflächige agile Transformationen, hat mit den Larman’s Laws of Organizational Behavior formuliert, warum tiefgreifende Veränderungen so schwer durchzusetzen sind (Larman (n.y.):

“1. Organizations are implicitly optimized to avoid changing the status quo middle- and first-level manager and “specialist” positions & power structures.

2. As a corollary to (1), any change initiative will be reduced to redefining or overloading the new terminology to mean basically the same as status quo.

3. As a corollary to (1), any change initiative will be derided as “purist”, “theoretical”, “revolutionary”, “religion”, and “needing pragmatic customization for local concerns” — which deflects from addressing weaknesses and manager/specialist status quo.

4. As a corollary to (1), if after changing the change some managers and single-specialists are still displaced, they become “coaches/trainers” for the change, frequently reinforcing (2) and (3), and creating the false impression ‘the change has been done’, deluding senior management and future change attempts, after which they become industry consultants.

5. (in large established orgs) Culture follows structure. And in tiny young orgs, structure follows culture.” Larman (n.y.)

Sein Gesetz ist kein optimistischer Leitfaden für Transformationen, sondern eine schonungslose Realität für Führungskräfte, die glauben, Wandel könne ohne erhebliche Störungen bestehender Machtstrukturen gelingen. In diesem Artikel beleuchten wir Larmans Gesetz, warum es in den meisten Organisationen zutrifft und was Führungskräfte tun können, um den Widerstand gegen Veränderung zu überwinden.

Larmans Gesetze des organisatorischen Verhaltens

Craig Larman hat vier zentrale Beobachtungen formuliert, die erklären, warum Organisationen sich systematisch gegen tiefgreifenden Wandel wehren:

1. Organisationen sind implizit darauf optimiert, den Status quo zu erhalten.

Jede Struktur, jedes Prozessdesign und jede kulturelle Norm in einer Organisation hat sich entwickelt, um das bestehende System zu stabilisieren. Selbst wenn Führungskräfte verkünden, sie wollten Veränderung, sind in der Organisation tiefe Mechanismen verankert, die genau das verhindern.

2. Daher wird jede Veränderungsinitiative auf Widerstand stoßen, da sie bestehende Machtstrukturen bedroht.

Transformation bedeutet oft eine Umverteilung von Macht, Entscheidungsbefugnissen oder Budgets. Diejenigen, die vom aktuellen System profitieren, werden aktiv oder passiv gegen Veränderungen arbeiten, die ihre Kontrolle verringern könnten.

3. Personen in Machtpositionen unterstützen nur Veränderungen, die ihre eigene Macht nicht gefährden.

Dies ist vielleicht die bitterste Wahrheit von Larmans Gesetz. Wenn eine Veränderung die Autorität bestehender Führungskräfte einschränkt, wird sie entweder blockiert oder so verwässert, dass sie keine substanziellen Auswirkungen mehr hat.

4. Kultur folgt Struktur – daher erfordert tiefgreifender Wandel strukturelle Veränderungen.

Viele Organisationen versuchen, kulturelle Transformationen durchzuführen („Lasst uns innovativer werden!“), ohne die strukturellen Hürden zu beseitigen, die echte Veränderung verhindern. Beispielsweise könnte eine Organisation Agilität fordern, während sie weiterhin an starren Hierarchien und bürokratischen Entscheidungsprozessen festhält.

Warum Larmans Gesetz für organisatorischen Wandel interessant ist

Larmans Erkenntnisse erklären, warum so viele Transformationsinitiativen scheitern, selbst wenn sie zu Beginn breite Unterstützung genießen. Ohne ein klares Verständnis dieser systemischen Widerstände laufen Veränderungsbemühungen Gefahr, rein kosmetische Anpassungen zu bleiben – oberflächliche Begriffsänderungen, Workshops und Pilotprojekte, die die Arbeitsweise der Organisation nicht wirklich verändern.

Typische Symptome eines gescheiterten Wandels sind:

  • „Cargo-Cult“-Agilität: Teams heißen plötzlich „Squads“, es gibt Daily Stand-ups – aber Entscheidungen und Prioritäten werden weiterhin von oben vorgegeben.
  • Bürokratische Resilienz: Neue Rollen oder Frameworks werden eingeführt, doch bestehende Berichtswege und Genehmigungsprozesse bleiben unangetastet.
  • Pilotprojekt-Falle: Veränderungen werden auf einzelne Teams oder Abteilungen beschränkt, während der Rest der Organisation unverändert bleibt.

Wie man Larmans Gesetz überwindet: Was Führungskräfte tun müssen

Wenn Larmans Gesetz die tief verankerten Widerstände gegen Veränderung aufdeckt, stellt sich die entscheidende Frage: Wie können Führungskräfte diese Barrieren durchbrechen? Hier sind einige zentrale Ansätze:

1. Die bestehenden Machtstrukturen erkennen und offen ansprechen

Bevor eine Transformation gestartet wird, sollten sich Führungskräfte fragen: Wer könnte Macht, Einfluss oder Kontrolle verlieren? Wer diese Realität ignoriert, wird mit Widerstand oder Sabotage konfrontiert. Transparenz über die Auswirkungen des Wandels ist entscheidend.

2. Strukturen ändern, nicht nur Denkweisen

Kulturelle Transformation ist oft ein nachgelagertes Ergebnis struktureller Veränderungen. Wer eine agile oder innovative Organisation schaffen will, muss auch Entscheidungsprozesse, Hierarchien und Anreizsysteme entsprechend anpassen.

Zum Beispiel:

  • Wenn Innovation gefördert werden soll, müssen Budgets und Entscheidungsbefugnisse an jene delegiert werden, die Innovation tatsächlich vorantreiben – nicht an zentrale Finanzkontrollgremien.
  • Wenn Agilität das Ziel ist, müssen Hierarchieebenen reduziert und Teams echte Autonomie erhalten.

3. Veränderungen „unumkehrbar“ machen

Viele Change-Initiativen scheitern, weil sie **zu leicht rückgängig gemacht werden können**. Führungskräfte sollten darauf achten, tiefgreifende und nachhaltige Änderungen zu implementieren, die nicht einfach wieder einkassiert werden können, sobald Widerstand aufkommt.

Mögliche Maßnahmen sind:

  • Governance-Strukturen verändern (z. B. Investitionsentscheidungen von Führungskräften auf interdisziplinäre Teams verlagern).
  • Leistungskennzahlen (KPIs) anpassen, um gewünschtes Verhalten zu fördern.
  • Vergütungssysteme so überarbeiten, dass sie mit den Zielen der Transformation übereinstimmen.

4. Akzeptieren, dass es Widerstand geben wird – und entschlossen handeln

Nicht jeder wird den Wandel unterstützen. Manche werden ihn offen oder verdeckt bekämpfen. Organisationen müssen entscheiden, ob sie Widerständler überzeugen, integrieren oder sich von ihnen trennen wollen. In vielen Fällen erfordert echte Transformation auch Veränderungen auf Führungsebene.

Fazit: Die unbequeme Wahrheit über Transformation

Larmans Gesetz offenbart eine unbequeme Realität: Die meisten Organisationen wollen in Wahrheit gar nicht wirklich verändern, auch wenn sie es behaupten. Tiefgreifende Transformationen fordern bestehende Machtstrukturen heraus – und ohne strukturelle Anpassungen bleibt kultureller Wandel eine Illusion.

Für Führungskräfte, die ernsthaft Transformation anstreben, ist das Verständnis dieser Gesetze der erste Schritt. Der zweite Schritt besteht darin, Widerstand nicht als Anomalie, sondern als systemisches Phänomen zu begreifen – und Interventionen so zu gestalten, dass sie diese Barrieren durchbrechen, anstatt sich in oberflächlichen Change-Programmen zu verlieren.

Die entscheidende Frage für Führungskräfte lautet: Sind Sie bereit, die strukturellen Veränderungen vorzunehmen, die echten Wandel ermöglichen – oder geht es nur um kosmetische Verbesserungen?

Referenzen

Layman, C. (n.y.). Larmans Law or Organizational Behavior. Blog. https://www.craiglarman.com/wiki/index.php?title=Larman%27s_Laws_of_Organizational_Behavior