Thought Bites - Chatmans Law - Oliver Mack xm-instituteFührung ist mehr als Zielvorgaben, Prozesse oder Strategien. Sie wirkt auf tiefere, oft unsichtbare Ebenen – insbesondere auf die Unternehmenskultur. Ein scheinbar einfacher Satz bringt diese Dynamik auf den Punkt: “Kultur wird durch das schlechteste Verhalten bestimmt, das die Führungskraft toleriert.” Dieses Prinzip ist als Chatman’s Law bekannt und gewinnt zunehmend an Bedeutung im Kontext von Transformation, Leadership und Organisationsentwicklung.

Begriffsdefinition: Was ist Chatman’s Law?

Chatman’s Law beschreibt die Beobachtung, dass die gelebte Kultur einer Organisation nicht durch ihre idealistischen Werte an der Wand geprägt wird, sondern durch das Verhalten, das tatsächlich geduldet wird – insbesondere von Führungskräften. Wenn destruktive, respektlose oder dysfunktionale Verhaltensweisen nicht sanktioniert werden, setzen sie implizit den Standard für „akzeptabel“. Und dieser Standard definiert dann die reale Kultur.

Herkunft und Hintergrund

Benannt ist das Prinzip nach Professor Jennifer A. Chatman von der Haas School of Business an der UC Berkeley. Chatman forscht seit Jahrzehnten zu organisationaler Kultur und Leadership. Ihre zentrale These: Kultur ist ein Steuerungsinstrument. Wenn Führungskräfte nicht bewusst steuern, übernimmt die Kultur – aber nicht immer in gewünschter Weise.

Chatman’s Law ist kein theoretisches Konstrukt, sondern das Ergebnis langjähriger empirischer Forschung zur Kulturwirkung in Organisationen. Sie zeigt, dass nicht die offiziellen Regeln und Policies den Ausschlag geben, sondern das, was tatsächlich passiert – und was durch Führung entweder erlaubt oder verhindert wird.

Anwendung in Organisationen

1. Kulturentwicklung

Organisationen investieren häufig viel in Werte-Workshops, Leitbilder und Change-Programme. Doch solange Führungskräfte toxisches Verhalten – etwa Mikromanagement, Intransparenz oder Schuldzuweisungen – dulden, unterminieren sie jede Kulturinitiative. Kulturwandel beginnt nicht bei PowerPoint, sondern bei der Toleranzgrenze der Führung.

Beispiel: Ein Unternehmen propagiert „Verantwortungsübernahme“ als Wert. Gleichzeitig wird ein Teamleiter, der systematisch Verantwortung nach unten delegiert und sich aus der Verantwortung zieht, nicht adressiert. Die implizite Botschaft: „Wir meinen es nicht ernst.“

2. Performance Management

Chatman’s Law lässt sich auch auf Performance-Prozesse anwenden. Wenn leistungsschwaches Verhalten (z. B. chronisches Zuspätkommen, Verfehlung von Zielen, fehlende Teamfähigkeit) nicht sanktioniert wird, entsteht ein Fairnessproblem – Leistungsträger verlieren Motivation, und der Maßstab wird abgesenkt.

Beispiel: In einem Consulting-Unternehmen wird ein Berater mit konstant negativem Kundenfeedback nicht adressiert, weil er gute Umsatzzahlen liefert. Ergebnis: Die Kultur kippt von Kundenorientierung zu interner Zynik.

3. Führungskräfteentwicklung

Führungskräfte sind Kulturbildner. Ihre tägliche Mikro-Entscheidung – eingreifen oder schweigen – hat kulturelle Wirkung. Coaching und Leadership-Programme müssen daher verstärkt darauf achten, Bewusstsein für diese impliziten Signale zu schaffen. Chatman’s Law bietet hier eine klare Diagnose: „Was dulde ich (still), was ermögliche ich dadurch?“

Fazit: Kultur ist kein Poster – sie ist Ergebnis von Führung

Chatman’s Law konfrontiert Führung mit einer unbequemen Wahrheit: Nicht die Absicht zählt, sondern das Verhalten, das toleriert wird. Wer als Führungskraft Kultur aktiv gestalten will, muss mit Konsequenz agieren – insbesondere bei Abweichungen. Nicht einzugreifen heißt, stillschweigend zuzustimmen.

Für Berater und Organisationsentwickler ist Chatman’s Law ein wirksames Analyseinstrument: Nicht fragen „Was sind eure Werte?“, sondern: „Was lasst ihr durchgehen?“. Wer das adressiert, arbeitet am Hebelpunkt von Kultur.