Einleitung: Warum das Viable System Model?

LSM - xm-Institute- Dr. O. Mack

In einer Welt, die von Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität (VUCA) geprägt ist, stehen Organisationen vor der Herausforderung, sowohl kurzfristig effizient zu handeln als auch langfristig anpassungsfähig zu bleiben. Stafford Beer, ein Pionier der Management-Kybernetik, entwickelte in den 1970er-Jahren das Viable System Model (VSM), um Organisationen als lebende, dynamische Systeme zu verstehen. Dieses Modell bietet eine wissenschaftlich fundierte Grundlage, um die Strukturen und Dynamiken von Organisationen so zu gestalten, dass sie langfristig überlebensfähig sind.

Die Grundprinzipien des Viable System Models

Das VSM basiert auf den Prinzipien der Kybernetik – der Wissenschaft von Steuerung und Regelung in komplexen Systemen. Stafford Beer griff hierbei auf Erkenntnisse aus der Biologie, Systemtheorie und Kybernetik zurück. Der Kern des Modells ist die Viabilität, also die Fähigkeit eines Systems, sich in einer sich verändernden Umwelt anzupassen und dabei seine Identität zu bewahren.

Ein zentrales Merkmal des VSM ist die Rekursion: Jede Organisation besteht aus verschachtelten Systemen, die jeweils überlebensfähig sein müssen. Dies bedeutet, dass ein Team, eine Abteilung oder eine gesamte Organisation jeweils die gleichen Grundprinzipien anwenden können, um ihre Resilienz und Anpassungsfähigkeit zu sichern.

Die fünf Systeme des VSM: Eine Übersicht

Stafford Beer definierte fünf essentielle Systeme, die für die Viabilität einer Organisation notwendig sind. Jedes dieser Systeme erfüllt eine spezifische Funktion und interagiert mit den anderen, um ein dynamisches Gleichgewicht zu schaffen:

  1. System 1: Operative Einheiten

    • Aufgabe: Erledigung der Kernaufgaben einer Organisation.
    • Eigenschaften: Autonome Einheiten, die flexibel auf Anforderungen reagieren.
    • Beispiel: Teams in einer Produktionslinie, die spezifische Produkte herstellen.
  2. System 2: Koordination

    • Aufgabe: Sicherstellung der Harmonie zwischen den System-1-Einheiten.
    • Eigenschaften: Vermeidung von Konflikten und Minimierung von Chaos.
    • Beispiel: Ein Planungsstab, der gemeinsame Zeitpläne für unterschiedliche Abteilungen erstellt.
  3. System 3: Kontrolle

    • Aufgabe: Ressourcenmanagement und Überwachung der Leistung von System 1.
    • Eigenschaften: Verbindung von operativer Effizienz mit strategischen Anforderungen.
    • Beispiel: Das mittlere Management, das operative Daten sammelt und analysiert.
  4. System 4: Intelligenz

    • Aufgabe: Beobachtung der Umwelt und Vorbereitung auf zukünftige Entwicklungen.
    • Eigenschaften: Zukunftsorientierung, Innovationsfähigkeit und Anpassungsbereitschaft.
    • Beispiel: Ein Innovationslabor, das neue Markttrends identifiziert und bewertet.
  5. System 5: Identität

    • Aufgabe: Festlegung der Vision, Werte und strategischen Ausrichtung der Organisation.
    • Eigenschaften: Balance zwischen Stabilität und Wandel.
    • Beispiel: Der Vorstand eines Unternehmens, der langfristige Ziele definiert.

Die Verbindungen zwischen den Systemen

Die Interaktionen zwischen den Systemen sind für die Viabilität entscheidend. Stafford Beer betonte die Bedeutung von Informationsflüssen und Feedback-Schleifen, um die Balance zwischen Stabilität und Anpassungsfähigkeit zu wahren. Ein besonderes Merkmal ist der sogenannte algedonische Kanal: Ein Warnsystem, das sofort kritische Zustände meldet, damit rechtzeitig korrigierende Maßnahmen ergriffen werden können.

Anwendung des VSM in der Praxis

Das Viable System Model ist branchenunabhängig und kann in Organisationen jeder Größe angewendet werden. Beispiele für die praktische Umsetzung sind:

  • Produzierende Unternehmen: Implementierung flexibler Fertigungsinseln (System 1), die sich autonom auf Produktionsanforderungen einstellen, während eine zentrale Produktionssteuerung (System 2) die Ressourcenverteilung koordiniert.
  • Dienstleistungsorganisationen: Etablierung eines zentralen Kundenservice-Hubs (System 1), der Kundenanfragen bearbeitet, unterstützt durch ein Feedbacksystem (System 3), das qualitative Daten sammelt und zur Optimierung nutzt.
  • Technologie-Start-ups: Entwicklung agiler Teams (System 1), die kurzfristig an spezifischen Projekten arbeiten, begleitet von Innovationsworkshops (System 4), die zukunftsgerichtete Produktideen generieren.

Fazit: Ein Modell mit theoretischer Tiefe und praktischer Relevanz

Das Viable System Model von Stafford Beer bietet einen klaren theoretischen Rahmen, um Organisationen resilient und anpassungsfähig zu gestalten. Durch die Anwendung der fünf Systeme und deren Interaktionen können Führungskräfte die Herausforderungen der VUCA-Welt meistern und ihre Organisationen erfolgreich in die Zukunft führen. Wir am xm-institute nutzen das VSM seit Jahren, um Organisationen weiterzuentwickeln und besser zu machen. Auch arbeiten wir mit den renommiertesten Experten auf diesem Gebiet zusammen, wie Wolfgang Lassl, der eine Buchreihe zum VSM verfasst hat:

Lassl, W. (2020). The Viability of Organizations Vol. 1: Decoding the “DNA” of Organizations. Vahlen: München.

Lassl, W. (2020). The Viability of Organizations Vol. 2: Diagnosing and Governing Organizations. Vahlen: München.

Lassl, W. (2020). The Viability of Organizations Vol. 3: Designing and Changing Organizations. Vahlen: München.