Die Autor und das Buch
Das Buch “Starke Signale” von Michel Reimon untersucht, wie Kommunikation Entscheidungen beeinflusst, indem es psychologische Mechanismen der Informationsverarbeitung beleuchtet. Es ist kürzlich bei Carl Auer erschienen und umfasst gut 275 Seiten. Der Autor, Michel Reimon war ehemaliger Europaabgeordneter und in der österreichischen Politik tätig. Er machte seinen Bachelor für Computerwissenschaften an der Universität Derby und den Master für Business Administration – Systematische Organisationsentwicklung und -beratung an der Augsburg University in Minneapolis. Aktuell ist er als Autor, Kommunikationsberater und systemischer Berater tätig.
Doch zum Buch: Es beschäftigt sich mit der Funktionsweise menschlicher Entscheidungsfindung und der Kunst starker Kommunikation, die diese Entscheidungen beeinflusst. Reimon beleuchtet dabei die kognitiven Prozesse hinter unseren Entscheidungen, die Rolle von Zielen und Bedürfnissen, verschiedene Entscheidungsstrategien und die Bedeutung von Kontext und Signalen in der zwischenmenschlichen Interaktion. Doch steigen wir etwas genauer in die Inhalte ein.
Die Inhalte
Das Buch gliedert sich in acht Hauptkapitel und schließt mit einer „Liste von 52 Chunks“ (als Zusammenfassung aller wichtige Botschaften) sowie einer 2-seitigen Literaturliste ab.
Kapitel 1: Am Startpunkt: Über ein persönliches Erlebnis als Oppositionspolitiker unter Außenminister Kurz in Österreich führt Reimon in das Thema wirksamer Kommunikation ein und macht so auf die Inhalte des Buchs neugierig. Dann legt das Kapitel die Grundlagen für das Verständnis effektiver Kommunikation, indem es in die zentralen Konzepte und die Denkweise des Buches einführt. Es geht darum, dem Leser einen Rahmen für systemische Kommunikation zu präsentieren, die durch das bewusste Setzen “starker Signale” eine beabsichtigte Wirkung erzielen soll. Das Kapitel legt zunächst den Fokus auf die Art und Weise, wie Menschen Informationen verarbeiten und Entscheidungen treffen. Es wird die Rolle des Arbeitsgedächtnisses als Engpass und des Langzeitgedächtnisses als Speicher für Wissen und Erfahrungen beleuchtet. Dabei wird herausgestellt, dass aktuelle Signale immer in einem Kontext interpretiert werden, der durch frühere Erfahrungen und gelerntes Wissen geformt wurde. Ein weiterer wichtiger Aspekt hierbei ist die Erkenntnis, dass jede Wahrnehmung und Interpretation subjektiv ist und auf individuellen “Landkarten” im Kopf basiert. Signale haben keine intrinsische Bedeutung, sondern erhalten ihre Bedeutung erst durch den jeweiligen Kontext des sozialen Systems. Schließlich wird das “Navigationsmodell” als ein Entscheidungs- und Kommunikationsmodell vorgestellt, das auf diesen Erkenntnissen aufbaut und dem Leser helfen soll, starke Signale bewusst zu setzen und die Kommunikation anderer zu analysieren. Das Kapitel endet mit einer Aufforderung zur Auseinandersetzung mit den folgenden Kapiteln, um die Techniken effektiver Kommunikation zu erlernen.
Kapitel 2: Kognitive Navigation, thematisiert, wie wir Informationen aus der Umwelt aufnehmen, verarbeiten und für Entscheidungen nutzen, wobei die Begrenzungen des Arbeitsgedächtnisses und die Bildung von mentalen Bündeln (Chunks) zentrale Rollen spielen. Es wird die konstruktive und subjektive Natur unserer Wahrnehmung hervorgehoben, da Signale stets in einem individuellen Kontext interpretiert werden. Grundlage ist ein Modell aus den 1970ern von Baddeley/ Hitch, die zu diesem Zeitpunkt ein Modell von Arbeits- und Langzeitgedächtnis entwickelt haben. Chunks sind dabei laut Reimon essenziell, wenn wir verstehen wollen, wie wir über das Arbeitsgedächtnis entscheiden. Abschließend geht es um die Verarbeitung von Handlungen, die nach dem Framing-Ansatz von Lakoff oft in sieben Einheiten gegliedert werden, aus denen dann Informationsbündel gebildet werden (Kontext, Aufbau, Hauptereignis, Zweck, unmittelbares Ergebnis, Abbau, langfristige Folgewirkungen) sowie um die Frage, welche Bedeutung innere Landkarten hierbei haben.
Kapitel 3: Die Landkarten in unserem Kopf, verlagert den Fokus auf das Langzeitgedächtnis als Speicher unserer individuellen Wissensstrukturen oder “Landkarten”. Hier wird erörtert, wie Wissen gespeichert, abgerufen und durch verschiedene Lernprozesse erweitert wird, wobei die subjektive und kontextabhängige Natur dieser mentalen Modelle betont wird. Verschiedene Lerntheorien von Pawlow, Bandura, Wygotski oder Tolman werden hier vertieft und mit der Frage verknüpft, wie starke Signale in der Kommunikation hiermit erzeugt werden können. Schließlich behandelt der Autor noch unterschiedliche Arten von Intelligenz. Er macht dabei deutlich, dass Intelligenz alleine in der praktischen Welt nicht ausreicht. Vielmehr bedarf es ferner der Planung sozialer Prozesse, um zukünftige Wirkungen und Handlungen der Umwelt besser einzuschätzen.
Kapitel 4: Unsere Ziele, handelt davon, wie wir Ziele setzen, um unsere Bedürfnisse (körperliche, psychologische, relationale) zu befriedigen. Zeit und Geld werden sodann als knappe Ressourcen zur Zielerreichung vorgestellt und die Frage geklärt, wie wir den Nutzen von Handlungen im Hinblick auf die Bedürfnisbefriedigung abschätzen und die Bedingungen definieren, die erfüllt sein müssen, sodass ein Bedürfnis befriedigt ist. Diese Erkenntnisse werden dann mit den Konsequenzen für die Kommunikation verbunden.
Kapitel 5: Entscheidungen: Die Wahl der Route, beschäftigt sich dann damit, wie wir Entscheidungen treffen, indem wir zwischen induktiver und deduktiver Navigation wählen. Da wir nicht perfekt planen können, nutzen wir Vereinfachungsstrategien (“Pi mal Daumen”) und verlassen uns auf Emotionen für erste Bewertungen. Werte und Moral, mentale Buchhaltung und der Besitztumseffekt beeinflussen ebenso unsere Wahl. Wir vereinfachen im großen Maßstab (auch mit Bias) und lassen uns von der Verfügbarkeit von Informationen leiten, wobei wir tendenziell Veränderungen meiden. Schließlich können Framing und Nudging unsere Entscheidungen subtil lenken. Dies wird am Ende dieses Kapitels behandelt.
Kapitel 6: Die Erkundung der Umwelt, behandelt die Informationsbeschaffung, indem es zunächst einführt, dass wir so lange suchen, bis wir Handlungsmöglichkeiten finden, die unsere Ansprüche erfüllen. Anschließend werden fünf Stufen der Erkundung beschrieben, die von der passiven Wahrnehmung über das aktive Beobachten zum gezielten Nachsehen und aufwendigen Suchen bis hin zum eigenen Erstellen von Informationen reichen. Jede Stufe erfordert mehr Aufwand und wird in einer bestimmten Reihenfolge durchlaufen, um relevante Informationen für Entscheidungen zu gewinnen.
Kapitel 7: Zwei Schleifen, beschreibt die zirkuläre Natur der Kommunikation, in der Handlungen als Informationen für andere dienen. Dann gehts um geteilte Intentionalität, die gemeinsames Handeln ermöglicht, während bekannte Pfade und gemeinsame Kultur Orientierung bieten. Rollen und Typisierungen vereinfachen soziale Interaktion und Kommunikationsstrategien variieren je nach Konflikt, Kooperation oder Koordination. Schließlich legt Reimon noch dar, dass asymmetrische Information oft institutionelle Lösungen erfordert.
Kapitel 8, “How to“, beginnt mit der Feststellung, dass der theoretische Teil des Buches abgeschlossen ist und leitet mit dem Unterkapitel “Jetzt geht’s los” in die praktische Anwendung über. Das folgende Unterkapitel “Öffentlichkeitsarbeit” thematisiert die Ableitung grundlegender Prinzipien für Werbung, Public Relations und Social Media-Influencing aus dem Navigationsmodell. Der Abschnitt “Training” behandelt den Trainer als “mehr wissenden Anderen” und “Kartografen” mentaler Landkarten, dessen Aufgabe es ist, nützliche Chunks im Langzeitgedächtnis der Lernenden zu schaffen, immer am Rand derer Wissensstandes zu agieren, das Lernen durch Kopieren und Nachahmen zu fördern und Rätsel anstelle von reinen Prüfungen einzusetzen. “Konfliktbearbeitung: Verhandlungen und Mediation” erörtert die strategischen Grundsituationen von Kooperation, Konflikt und Koordination. Abschließend widmet sich das Kapitel “Coaching und Sparring” der Rolle des Coaches, der den Coachee bei der Erkenntnis eigener Stärken und Fähigkeiten zur Lösungsfindung unterstützt, die Entscheidungsfindung durch die Entscheidungsformel und den Entscheidungsbaum strukturiert und als neutraler Sparringspartner durch gezielte Fragen zur Selbstreflexion anregt.
Das Fazit
Alles in allem schafft das Buch einen schlüssigen und breiten Rahmen, zu verstehen, wie unser Gehirn wohl Informationen verarbeitet und Entscheidungen trifft. Dies erfolgt auf Basis zahlreicher klassischer psychologischer Modelle der letzten 80 Jahre, die als Heuristik für das von Reimon vorgestellte Schleifenmodell nützlich und durchaus pragmatisch anwendbar sind. Obwohl die Komplexität sozialer Systeme betont wird, liegt der Fokus des Buches primär auf der individuellen kognitiven Verarbeitung und der Steuerung von Kommunikation durch das Setzen starker Signale. Als keinen Kritikpunkt aus meiner Komplexitätssicht werden Konzepte wie Emergenz, Selbstorganisation oder nicht-lineare Dynamiken, die in der Komplexitätstheorie zentral sind, nicht explizit diskutiert oder in die Modelle integriert. Die Interaktionen innerhalb sozialer Systeme werden eher als Reaktionen auf individuelle Signale und Entscheidungen dargestellt, anstatt als das Ergebnis komplexer, sich selbst organisierender Prozesse. Auf der aus meiner Sicht sehr überwiegenden Positivseite steht ein praktisch anwendbares Buch in dem es Reimon immer wieder schafft, dem Leser Bilder zu vermitteln, denen man auch bei schwierigen Sachverhalten gut folgen kann. Es ist eine schöne Kombination aus Theorie und Praxis mit vielen Beispielen aus Privatem, Wirtschaft und Politik.
Und so sei das Buch allen an Kommunikation und Verhandlungen Interessierten ans Herz gelegt und uneingeschränkt empfohlen. Ich habe es zügig und mit viel Interesse gelesen. Die „Chunks“ und ihre Zusammenfassung als Liste am Ende des Buchs helfen dabei, sich auch nach einiger Zeit wieder schnell an die umfassenderen Inhalte zu erinnern. Und so schließt sich der Kreis.
Reimon, Michel (2025). Starke Signale. Carl-Auer: Heidelberg.
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Anmerkung zur Transparenz: Das Buch wurde dem Autor dieses Artikels vom Verlag kostenlos zur Rezension zur Verfügung gestellt. Die Meinung des Autors ist hiervon jedoch nicht beeinflusst.
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