Buchbesprechung: Ulf Brandes, Social Energy

Ulf Brand veröffentlichte bereits 2014 mit einigen Kollegen sein erstes Buch, “Management Y”, was zu dieser Zeit sehr innovativ war und mir sehr gut gefallen hat. Ulf Brandes ist auch einer der Initiatoren von “Augenhöhe”, einem Dokumentarfilm und einer Kampagne, die sich mit Unternehmen auseinandersetzt, die Führung neu und anders verstehen. Vor ein paar Tagen kam sein zweites Buch im Alleingang, worauf ich natürlich umso mehr gespannt war.

In seinem ersten Buch ging es vor allem um einen neuen Blickwinkel auf Organisationen, der eher knapp gehalten war, und eine Liste an 24 Tools und Ansätzen, ein anderes Arbeiten in Unternehmen zu verankern. Dabei wurden bekannte Tools, wie Open Space, aber Business Model Canvas, Art of Hosting, aber auch weniger Bekanntes gesammelt und beschrieben. Ein tolles Buch, doch wurde das Layout/ Design zumindest in letzter Zeit teilweise als unübersichtlich und text-lastig bemängelt. Zu Recht, da es inzwischen viele Toolbücher zum Thema gibt, die übersichtlicher und klarer gestaltet sind. Doch bei “Management Y” greift man zu kurz, wenn man nur auf das Äußere schaut: Der Text liefert viele wertvolle Hinweise und Denkanstöße, die man in anderen Büchern vergeblich sucht.

So, und nun zum neuen Buch “Social Energy”. Die Aufmachung und das Design sind geblieben. Sowohl auf dem Cover, als auch im Inneren. Viel kleiner Text, wenige und teils sich erst beim 2. Nachdenken erschließende Abbildungen. Das ist für mich auch der einzige Schwachpunkt, den ich an diesem Buch ausmachen kann. Der Text hat es auch diesmal wieder in sich.

Im Buch “Social Energy” geht es diesmal weniger (wenn auch) um Tools, als vielmehr um die Frage, wie Veränderung in Unternehmen entstehen kann, für Kunden-Innovation oder für die interne Transformation. Social Energy beschreibt damit die Energie, die durch die zunehmenden Spannungen in Unternehmen entsteht, wenn sie sich auf eine neue Art der Führung einlassen. Neu bedeutet hierbei gemeinsame Kooperation statt interner Wettbewerb, stärkere Partizipation und damit intensives Sich-Einbringen der Mitarbeiter.

Das Buch startet im ersten von vier Kapiteln mit verschiedenen Beispielen aus klassischen Change- und Kulturprojekten und deren übliche Herausforderungen und Schwierigkeiten. Dann lenkt der Autor die Aufmerksamkeit auf das Thema Beziehungsqualität als Schlüssel für eine gute Change-Arbeit und zur Social Energy sowie auf Glaubenssätze der handelnden Personen, die oft in der Definition von Change-Vorhaben zu wenig Beachtung finden. Das Buch ist neben Beispielen auch immer wieder mit Übungen zur (Selbst-)Reflexion angereichert, die sich auch gut in der Führungskräfte-Entwicklung anwenden lassen. Auch gibt es immer wieder über das gesamte Buch hinweg passende Theorie-Einwürfe, wie das Schein’sche Seerosenmodell oder die Theory X/Y. Diese helfen Einsteigern, auch den Sinn hinter den Ausführungen zu verstehen oder dem fortgeschrittenen Leser nicht in anderen Büchern nachschlagen zu müssen.

Kapitel 2 befasst sich dann intensiver mit dem Thema, was Veränderungsenergie bedeutet und wie sie entsteht. Dabei greift der Autor auf psychologische und neurobiologische Grundmodelle zurück, die klar Motivation und Verhalten erklären und hieraus deutlich machen, dass Veränderung vor allem auf die Verbesserung der aktuellen Situation zielt. Gemeinschaft ist hierfür ein wichtiges Element. Es geht um den Umgang mit Spannungen und um subjektive, konstruktivistische Weltbilder, es geht um Perspektivenwechsel und Werte und münden schließlich in einem Modell der “Kernanliegen” von Menschen, das als Denkraster für die Arbeit im Change sehr gut dienen kann. Abschließend geht Brandes auf eine weitere Dimension der Social Energy ein, auf Emergenz und Selbstorganisation, die es zu verstehen und zu nutzen gilt.

Das dritte Kapitel trägt die Überschrift “Zur kraftvollen Entwicklung beitragen”. Dieses startet mit der wichtigen Idee der Spannungen. Dies sind Widersprüche, die sich als Kernanliegen bei jedem Einzelnen, aber auch Gruppen immer wieder melden.  Deren Wirkung und produktive Bearbeitung sind Inhalt dieses Kapitels. Eine der vielen Botschaften dieses Kapitels lautet: “Wir lösen Konflikte nicht, indem wir uns auf die Probleme konzentrieren, die wir wahrnehmen, sondern indem wir uns den zugrundeliegenden Kernanliegen widmen.” (Brandes, S.142) Laut Brandes geht es nicht zuletzt darum in Veränderungsprozessen gemeinsame, keine fremden Lösungen zu entwickeln. Diese werden dann auch mit viel Energie verfolgt und umgesetzt. Als Bilder und Tools nutzt der Autor das u.a. Impro-Theater, das Tetralemma oder der Wertequadrat, um intelligent verpackt hier zum weiteren Nachdenken anzuregen. Abschließend bringt Brandes das Dargestellte mit Führung in Zusammenhang und zeigt Konsequenzen für diese auf, wenn man seiner Argumentation bis hierher folgt.

Kapitel 4 schafft eine Abrundung der ersten drei Kapitel mit der Frage, wie lebendiger Kulturwandel im Arbeitsalltag gelingen kann. Dabei stehen unter anderem die Einordnung von Agile, Kaizen und Co in dieses Gedankenraster und führen m.E. zu interessanten Schwerpunkten, die in einer Vielzahl an Unternehmen meist unbeachtet bleiben. Des Weiteren geht es um SELF, einen Begriff, den der Autor als Abkürzung für “Social Energy Language & Framework” einführt. Er steht für einen flexiblen Handlungsrahmen, in dem kultureller Wandel selbstorganisiert ablaufen kann. Hierzu liefert Brandes Rahmenbedingungen, Tools mögliche Hindernisse auf Organisationsebene. Brandes bietet damit viele Ideen für Organisationsentwickler und Berater, aber auch interessierte Führungskräfte, wie Veränderung mit Energie gelingen kann.

Mit meinem SySt Hintergrund kann ich die Ausführungen voll und ganz teilen. Viele Elemente fühlen sich an, wie aus der Seele gesprochen. Viele Aspekte fühlen sich an, wie modernisierte Ansätze systemischer Beratung, lösungsfokussiertem Denkens und als Konkretisierung und Übersetzung von Konzepten in umsetzbare Übungen und Interventionen. Die Lektüre des Buches sei wärmstens empfohlen. Glückwunsch: Rundum gelungen!

Brandes, Ulf. Social Energy, Campus: Frankfurt/ New York 2018.


Das Buch wurde vom Verlag für die Rezension zur Verfügung gestellt.