Die Autorin und das Buch

Cornelia Strobel - Prozess Entscheiden - Rezension - Dr. Oliver Mack - xm-instituteDr. Cornelia Strobel ist promovierte Chemikerin und arbeitete zunächst im Bereich der Ingenieursdienstleitungen und als Führungskraft. Sie ist hypnosystemische Organisationsberaterin, Coach und Teamentwicklerin und bezeichnet sich selbst als „Expertin fürs Entscheiden“ (Linkedin). Veröffentlichte sie im letzten Jahr noch zusammen mit Susanne Delius den Titel „Zusammen entscheiden“ (ebenfalls im Carl-Auer Verlag erschienen – AffiliateLink) ist sie nun solo mit dem Buch „Prozess Entscheiden“ unterwegs. Ihr neues Buch ist ebenso bei Carl Auer erschienen, trägt den Untertitel „Ein Schlüssel für erfolgreiches Transformieren“ und umfasst knapp 200 Seiten. Das Buch ist in 10 Hauptkapitel untergliedert, leitet ebenso wie das letzte Buch mit Susanne Delius mit der Entscheidungslandkarte „Decisio Map®“ als Orientierungshilfe ein und schließt mit einem Epilog, Abbildungs- und Literaturverzeichnis.

Das Buch betrachtet Entscheidungsprozesse in Organisationen als zentralen Schlüssel für erfolgreiche Transformation. Dabei werden verschiedene Einflussfaktoren wie Entscheidungskultur, Teamdynamiken und individuelle Rollen beleuchtet, wobei das Eingehen von Risiken als unerlässlich für Entscheidungen hervorgehoben wird. Das Buch präsentiert Methoden und Modelle, um Entscheidungskompetenzen zu entwickeln, organisationale Glaubenssätze zu hinterfragen und eine gemeinsame Sprache in Veränderungsprozessen zu fördern. Ebeno wird die Bedeutung von Sinnorientierung und der Umgang mit organisationaler Ambidextrie für zukunftsfähige Entscheidungen betrachtet. 

Steigen wir nun in die Inhalte etwas genauer ein. 

Die Inhalte

  1. Einstimmung:
    Das erste Kapitel, “Einstimmung”, führt in die Allgegenwart von Entscheidungen im persönlichen und besonders im organisatorischen Kontext ein. Es betont die Notwendigkeit prozesssicherer Entscheidungen angesichts komplexer Herausforderungen, da Ergebnissicherheit nicht mehr garantiert werden kann. Die Autorin stellt die Transparenz und Nachvollziehbarkeit von Entscheidungsprozessen heraus und legt die grundlegende Perspektive des Buches dar: Transformation erfordert die bewusste Gestaltung des Entscheidens, Verantwortens und Handelns. Das Kapitel etabliert das Bild einer Expedition, in der der Entscheidensprozess als zentraler Dreh- und Angelpunkt verstanden wird, und erläutert die bewusste Wahl dieses Begriffs gegenüber “Entscheidungsprozess”.
  2. Pilot versus Autopilot:
    Kapitel 2, “Pilot versus Autopilot”, stellt ein zentrales Rahmenmodell des Buches vor, das zunächst auf individueller Ebene die Unterscheidung zwischen routiniertem (“Autopilot”) und bewusstem (“Pilot”) Entscheiden erläutert. Anschließend wird diese Unterscheidung auf Organisationen übertragen, wobei das Kapitel die Notwendigkeit betont, im Kontext von Transformationen zum richtigen Zeitpunkt vom Autopiloten in den Piloten zu wechseln. Abbildungen im Kapitel veranschaulichen die Wirkzusammenhänge und Bedingungen für diesen Wechsel in Abhängigkeit von der Bedeutung und Beeinflussbarkeit von Risiken.
  3. Die Expedition vorbereiten:
    Kapitel 3 dient als Einstimmung auf das Thema Entscheidungen in Organisationen. Es werden erste Ordnungskriterien in Form einer Vierfeldermatrix vorgestellt, um unterschiedliche Entscheidungssituationen hinsichtlich ihrer Routine und Tragweite zu bewerten. Interessant finde ich, dass sich für mich als intensiver Nutzer des Cynefin Frameworks die Vierfeldermatrix auf dieses zurückführen oder zumindest direkt verbinden lässt. In einem weiteren Schritt wird die Unterscheidung zwischen Problemlösen (vergangenheitsorientiert), Entscheidungen treffen (gegenwartsbezogen) und Entscheidensprozesse gestalten (zukunftsorientiert) erläutert. Abschließend wird noch das von mir bereits erwähnte Cynefin-Framework als ein weiteres „Sortiermodell“ eingeführt, um verschiedene Kontexte (einfach, kompliziert, komplex, chaotisch) zu verstehen und darauf basierend angemessene Handlungsweisen abzuleiten. Leider greift dieser Blick auf Cynefin zu kurz, da es sich eben nicht um ein „Sortier-Framework“ handelt, in das Sachverhalte einsortiert werden, sondern eher um ein Framework, aus dem sich die Grenzen der Domänen erst aus der relativen Positionierung aller Elemente ergeben. (Eine Vertiefung würde hier zu weit gehen und könnte einmal einen eigenen Blogbeitrag vertragen). Insgesamt möchte das Kapitel somit grundlegende Konzepte vermitteln, um sich im Feld der Entscheidungen in Organisationen zu orientieren.
  4. Entscheiden ist ein Prozess:
    In Kapitel 4 werden Entscheidung nicht als isolierter Akt, sondern als einer mehrphasiger Ablauf betrachtet. Es wird  ein fünf-Phasen-Modell vorgestellt, das von der Problemdefinition über die Optionssuche und den Beschluss bis zur Umsetzung und Reflexion reicht. Zudem werden Luhmanns Sinndimensionen (sachlich, sozial, zeitlich) als relevante Betrachtungsebenen eingeführt. Das Kapitel betont die Wichtigkeit der aktiven Gestaltung dieses Prozesses durch das Stellen der “richtigen” Fragen und präsentiert das Leitfragenset zur Decisio Map als praktisches Werkzeug hierfür. Die Beispiele verdeutlichen die Anwendung dieser Konzepte in der Praxis.
  5. Entscheiden ist der Übergang von Unsicherheit ins Risiko:
    Dieses Kapitel beleuchtet die enge Verbindung zwischen Entscheidung und Risiko und betont, dass Risiko sowohl Chancen als auch Gefahren birgt. Es wird argumentiert, dass Risikobereitschaft eine gemeinsame Aufgabe in Organisationen ist und Instrumente wie dynamische Risikobilanzen werden vorgestellt. Abschließend wird die Risikokompetenz des Einzelnen in seiner Funktion und Rolle thematisiert, wobei das Tetralemma als Bewertungsmethode genannt wird. Das Kapitel unterstreicht die Notwendigkeit eines bewussten und differenzierten Umgangs mit Risiko als integralen Bestandteil von Entscheidungsprozessen.
  6. Ratio versus Emotion:
    Kapitel 6 thematisiert, wie das Zusammenspiel von rationalen und emotionalen Aspekten das Entscheidungsverhalten im Team beeinflusst. Es wird ein neues Verständnis von Verantwortung durch die Verteilung verschiedener Rollen im Entscheidungsprozess vorgestellt. Weiterhin beleuchtet das Kapitel das individuelle Sicherheitsbedürfnis beim Entscheiden und präsentiert den “Archipel der Kontemplation” zur Reflexion dieser Bedürfnisse, verbunden mit Riemanns Angstformen und dem Kairos-Entscheiderprofil, welches hilft, persönliche Sicherheitsmuster im Entscheidungsverhalten zu verstehen. Das Kapitel erörtert, wie Teams die unterschiedlichen Ausprägungen dieser Profile (“Energisch”, “Pragmatisch”, etc.) nutzen können, um die Zusammenarbeit zu verbessern und effektivere Entscheidungsprozesse zu gestalten.
  7. »La memoire collective« – Entscheidenskultur im Fokus:
    Dieses Kapitel behandelt die Bedeutung der Entscheidenskultur für Transformationsprozesse in Organisationen. Das Kapitel betont die Notwendigkeit, unbewusste Annahmen und Glaubenssätze zu erkennen, die die Entscheidungsfindung prägen, und stellt hierfür Methoden wie die Artefaktanalyse und das Decisio-Code-Profil vor. Das Decisio-Code-Profil dient als Instrument zur Analyse von Entscheidenskulturfaktoren. Weiterhin werden Beratungskonzepte wie das EDIT-Beratungsmodell und das Decision-Performance-Beratungsmodell erläutert, die einen Rahmen für die Diagnose und Entwicklung der Entscheidenskultur in den Phasen Explorieren, Designen, Testen und Implementieren bieten, wobei die Gestaltung von Entscheidensprozesslandkarten hervorgehoben wird. Insgesamt fokussiert Kapitel 7 auf die bewusste Auseinandersetzung mit der Entscheidenskultur als wesentliche Grundlage für erfolgreiche Veränderungsprozesse in Organisationen.
  8. Eine gemeinsame Sprache für das oft »Unbesprechbare« entwickeln:
    Kapitel 8 thematisiert die Nutzung von Metaphern als zentrales Instrument, um eine gemeinsame Verständigungsbasis für Entscheidungsprozesse in Organisationen zu schaffen. Es wird erläutert, wie Metaphern dazu beitragen können, abstrakte Konzepte konkret zu fassen und dadurch die Kommunikation über sensible Themen wie Macht, Fehler und Glaubenssätze zu erleichtern. Die Decisio-Metaphern-Map wird als praktische Methode vorgestellt, um gemeinsame Bilder und eine gemeinsame Sprache zu entwickeln und so Transparenz und die Qualität von Entscheidungen zu verbessern. Das Kapitel beleuchtet auch, wie Metaphern in der Arbeit mit organisationalen Glaubenssätzen und im Storytelling in Veränderungsprozessen eingesetzt werden können. Abschließend wird Nilton Bonder’s Modell von Wissen, Verstehen, Weisheit und Glaube vorgestellt, um die Wirkung von Metaphern auf Entscheidungsprozesse, insbesondere im Umgang mit Emotionen und Widerständen in Veränderungsprozessen, besser zu verstehen. (Auch diese lässt sich übrigens wunderbar auf das Cynefin Framework zurückführen.) Insgesamt unterstreicht Kapitel 8 die Bedeutung von Metaphern als Schlüsselwerkzeug zur Etablierung einer gemeinsamen Sprache und zur Bearbeitung oft unbewusster Aspekte im organisationalen Entscheidungsprozess.
  9. Die Macht unserer (inneren) Bilder:
    Kapitel 9 beleuchtet, wie unbewusste Vorstellungen Entscheidungen und Veränderungsprozesse beeinflussen. Es wird die aktive Gestaltung innerer Bilder durch Metaphern und ein sechs-stufiger Prozess zur Verbindung von Kopf- und Körperarbeit vorgestellt, um die Wirkung innerer Bilder zu erfahren und zu bearbeiten, wobei die Decisio-Bodenlandkarte als Werkzeug dient. Das Kapitel analysiert die Wirkung von Sprache auf innere Bilder in verschiedenen Organisationsformen und untersucht, wie das bewusste Nutzen und Reflektieren innerer Bilder helfen kann, Risiken in Transformationsprozessen anzunehmen . Somit wird die Bedeutung innerer Bilder als Ressource für die bewusste Gestaltung von Entscheidungen und Veränderungen hervorgehoben.
  10. Von der Wirkung her denken
    Kapitel 10 behandelt die sinnorientierte Entscheidungsfindung in Organisationen durch einen vierstufigen Prozess, der Verstehen, Dazu stehen, Handeln und Evaluieren umfasst. Es wird die Bedeutung von Situationspotenzial und Disponibilität für zukunftsorientierte Entscheidungen erörtert. Weiterhin wird das Konzept der Ambidextrie als Fähigkeit zur gleichzeitigen Optimierung und Innovation im Kontext von Entscheidungsverhalten und organisationaler Atmosphäre untersucht. Das Kapitel betont die Notwendigkeit, Entscheidungen im Hinblick auf ihren Sinn und ihre Wirkung zu reflektieren und Agilität zu fördern.
  • Epilog: Das Kapitel “Epilog” dient als abschließende Reflexion des Buches, wobei der Entscheidensprozess als zentral für erfolgreiche Transformationen in Organisationen hervorgehoben wird. Es wird betont, dass Risiken in der Sache und im Prozess untrennbar verbunden sind, und die Bedeutung eines achtsamen Entscheidens im Sinne des “Pilot/Autopilot”-Modells für Veränderungsprozesse wird resümiert. Der Epilog rückt das soziale Dreieck der Organisation in den Fokus und führt abschließend das Pentaedermodell als Strukturierungshilfe des Entscheidungsraums ein.

Das Fazit

Alles in allem handelt es sich hier um ein theoriegeleitetes BeraterInnenbuch, das an das erwähnte letztjährige Buch der Tools, Anleitungen und Rezepte komplementär anschließt. Einige  Abbildungen waren auch im letzten Buch enthalten. Inhaltlich fokussiert dieses Solowerk von Cornelia Strobel eher auf Zusammenhänge und Frameworks und die Tools und Anleitungen treten in den Hintergrund. Dennoch ist das Buch praktisch genug, dass es BeraterInnen viele Ansatzpunkte für die eigene Arbeit liefert und zahlreiche Einblicke in die Arbeit der Beraterin bietet. Als theoretische Grundlage dienen klassische soziologische Ansätze von Luhmann und Kuhl, auf die dann aktuelle Konzepte, wie Cynefin Framework, VUCA/ BANI oder z.B. Ambidextrie aufgesetzt werden. Häufig referenziert wird neben dem letztjährigen Buch auch immer wieder auf Sutrich. In dessen Buch (Suttrich/ Opp (2016). Wie Organisationen gut entscheiden. Haufe.) finden sich auch zahlreiche Schlüsselansätze und Gedanken des hier vorgestellten Buchs wieder, wie die Decisio Landkarte, das Kairos Profiling oder das Pentaedermodell. Wer also ein Buch sucht, in dem er nur Neues findet, wird enttäuscht. Wer aber ein Buch sucht, das das Beraterinnen-Wissen der Autorin widerspiegelt und dieses mit ihren Erfahrungen bündelt, ist bei diesem Buch richtig.  

Das Buch sei daher also vor allem systemischen BeraterInnen empfohlen, die in die Materie des Entscheidens einsteigen wollen und hier das Wissen und die Erfahrung der Autorin in die eigene Arbeit einbinden möchten.

Strobel, C. (2025). Prozess Entscheiden. Carl-Auer:Heidelberg.

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Anmerkung zur Transparenz: Das Buch wurde dem Autor dieses Artikels vom Verlag kostenlos zur Rezension zur Verfügung gestellt. Die Meinung des Autors ist hiervon jedoch nicht beeinflusst.