Thought Bites - Luhmann und AI - Oliver Mack xm-instituteAI und soziale Systeme: Eine neue Perspektive auf Organisationen – Einige Gedanken

Niklas Luhmanns Systemtheorie bietet eine faszinierende Grundlage, um die Integration von künstlicher Intelligenz (AI) in soziale Systeme und Organisationen zu verstehen. Nach Luhmann bestehen soziale Systeme aus fortgesetzter Kommunikation, während Organisationen durch fortgesetzte Entscheidungen geprägt sind. Menschen sind in diesem Modell Teil der Umwelt, die das soziale System nutzt, um seine Selbstreproduktion – die sogenannte Autopoiesis – zu sichern. Dabei leihen sie dem System ihre Sinnesorgane und Münder, um Kommunikation zu ermöglichen.

Die zentrale Frage ist, ob und wie AI zu einem Bestandteil dieser Systeme werden kann. Insbesondere Large Language Models (LLMs) können als „künstliche individuelle Münder“ betrachtet werden. Diese Modelle verfügen jedoch aktuell über eingeschränkte sensorische Fähigkeiten, die lediglich durch Prompts vermittelt werden. Mit technologischen Fortschritten wird AI zunehmend in Organisationen integriert, insbesondere wenn LLMs mit erweiterten sensorischen Systemen gekoppelt werden. Dies könnte sie in die Lage versetzen, Entscheidungen zu treffen und aktiv zur Kommunikation und Entscheidungsfindung beizutragen. Dennoch bleibt fraglich, ob diese Entscheidungen im luhmannschen Sinne – also auf Basis von Kontingenz und Sinnproduktion – vollwertige Entscheidungen sind.

AI hat das Potenzial, in Organisationen eine ähnliche Rolle wie Menschen einzunehmen, indem sie als kommunikative Elemente zur Erhaltung des Systems beiträgt. Allerdings ist es verfrüht, von einer vollständigen Substitution von Menschen durch AI auszugehen. AI kann repetitive, regelbasierte Aufgaben übernehmen, bleibt jedoch in der Sinnproduktion und im Umgang mit hochkomplexen, unvorhersehbaren Situationen eingeschränkt. Vielmehr sollte sie als komplementäres Element betrachtet werden, das Menschen unterstützt, anstatt sie zu ersetzen.

In dieser komplementären Rolle bietet AI Organisationen neue Möglichkeiten. Menschen bleiben zentrale Akteure in Bereichen, die hohe soziale Intelligenz, ethische Urteilsfähigkeit und flexible Problemlösung erfordern. AI kann hingegen Aufgaben wie die Automatisierung administrativer Prozesse, die Beschleunigung von Datenanalysen und die Unterstützung von Entscheidungsprozessen übernehmen. Diese Zusammenarbeit von Mensch und Maschine ermöglicht es Organisationen, die Stärken beider Elemente optimal zu nutzen.

Damit AI sinnvoll in Organisationen integriert werden kann, bedarf es strategischer und ethischer Überlegungen. Führungskräfte sollten die Einführung von AI schrittweise gestalten, beispielsweise durch Pilotprojekte und kontinuierliche Schulungen. Eine klare Kommunikation ist dabei essenziell, um Ängste und Widerstände abzubauen. Gleichzeitig erfordert der Einsatz von AI eine sorgfältige Überwachung, um sicherzustellen, dass Entscheidungen transparent, nachvollziehbar und ethisch vertretbar bleiben. AI kann die Kommunikation unterstützen, die Sinnproduktion jedoch bleibt eine menschliche Stärke, die durch KI lediglich ergänzt, nicht aber ersetzt werden kann.

Die Integration von AI in soziale Systeme und Organisationen ist ein evolutionärer Prozess. Sie könnte zu einem Akteur werden, der Organisationen hilft, ihre Selbstreproduktion zu sichern. Gleichzeitig bleibt die zentrale Rolle des Menschen in der Sinnproduktion und im Umgang mit Kontingenz unverzichtbar. Organisationen, die AI und menschliche Fähigkeiten synergistisch verbinden, werden nicht nur effizienter arbeiten, sondern auch innovativer und resilienter in die Zukunft blicken können.