ZeitFolgt man dem Konzept des Dritten Modus der Beratung, so sind Change Prozesse von der Ausgestaltung von drei Dimensionen geprägt, die es im Blick zu halten und gleichzeitig zu bedienen gilt (Wimmer, 2010):

  • Sachliche Dimension: Alle Themen und Fragen nach den Inhalten der Veränderung.
  • Soziale Dimension: Alle Aspekte und Fragen nach der sozialen Dynamik in Veränderungsprozessen
  • Zeitliche Dimension: Hierunter fallen alle Fragen noch der richtigen Zeitlichkeit der Maßnahmen sowie die Dynamik des Changeprozesses.

Meiner Erfahrung nach stellt die zeitliche Dimension die in Organisationen und Beratung am wenigsten beachtete und oft vernachlässigte Dimension dar. Daher im Folgenden ein paar Gedanken zu diesem Feld.

Grundsätzliches

Zeit generell und in Veränderungsprozessen im Besonderen, kann auf drei Arten betrachtet werden:

  • Als absoluter Zeitbegriff an sich und die Wegstrecke, die es in einer Veränderung zurückzulegen gilt
  • Als Veränderungsgeschwindigkeit und damit 1. Ableitung des Weges nach der Zeit und damit wie verändert sich der Weg über die Zeit.
  • Als Veränderungsbeschleunigung und damit die 2. Ableitung des Weges nach der Zeit oder 1. Ableitung der Veränderungsgeschwindigkeit und damit die Frage wie verändert sich diese.

Zeitbegriffe

Zeit kann in Veränderungsprozessen von einzelnen Individuen als etwas sehr individuelles wahrgenommen werden:

  • Kalenderzeit: Hierunter verstehen wir die allgemein anerkannt synchronisierte und einheitlich wahrgenommene Kalenderzeit. Dieser Zeitbegriff hat im Alltag und damit auch in Change Projekten eine hohe Bedeutung, da dieser Zeitbegriff im Vergleich zum weiter unten folgenden individuellen Zeitbegriff einen gemeinsamen Nenner aller handelnden Personen darstellt, der “objektiv” messbar ist. Diese Form von Zeitbegriff existiert weltweit synchronisiert noch nicht allzu lange. Erstmalig war dies mit der Einführung der Eisenbahn von Bedeutung, bei der es darum ging, Fahrpläne auch zwischen weit auseinanderliegen Orten gut zu synchronisieren. Vor dieser Zeit waren asynchrone lokale Zeiten und auch eher vage Zeitbegriffe (bei Sonnenaufgang, am Mittag, etc.I an der Tagesordnung. Doch auch bei der objektiven Kalenderzeitmessung kann es einige Themen geben, die bei Changevorhaben von Bedeutung sind:
    • Phasenverschiebungen und Veränderungsgeschwindigkeit verschiedener Systemtypen/ Systemdimensionen:  Wir sehen Unternehmen als komplexe lebendigen sozio-technische Systeme. Diese leben von der Interaktion und dem komplexen Zusammenspiel von Technologien und Menschen bzw. sozialen Subsystemkontexten. In diesen Konstellationen kann es durch unterschiedliche maximale Veränderungsgeschwindigkeiten zu Phasenverschiebungen kommen, die im Rahmen von Changevorhaben von Bedeutung sind und bearbeitet werden müssen. So ist es z.B. vielleicht möglich, eine Technologie schnell anzupassen bzw. einzuführen. So ist ein neues ERP System vielleicht schneller adaptiert, als das damit zusammenspielende soziale System derBenutzer in ihren Beziehungskontexten. Ein anderes Beispiel stellt eine neue Aufbauorganisation dar, die vielleicht schon eingeführt ist, ohne bereits die Prozesse angepasst zu haben oder alle Rollen auf allen Ebenen und die durch die Strukturveränderung im sozialen System ausgelösten Verwerfungen im Beziehungsgeflecht bereits bearbeiten zu haben.
    • Strukturieren von Zeit: Zur Komplexitätsreduktion und Synchronisation von Zeit erfolgt in Projekten aller Art und damit auch Change Vorhaben oft eine Strukturierung von Zeit durch Phaseneinteilungen. Diese sind in Projekten als Meilensteine oder Phasenübergänge wahrnehmbar. So werden Vorhaben häufig traditionell in eine Analysephase, Konzeptphase, Pilotierungsphase und Umsetzungsphase unterteilt. Diese Unterteilung schafft im Zeitablauf die notwendige Stabilität um entsprechende Veränderungen umzusetzen. Phasen sind hierbei nicht zwingend gleich lang (in ihrer Kalenderzeit), die Unterteilung stellt aber eine sinnvoll unterscheidbare Differenzierung dar, in der z.B. mit unterschiedlicher Geschwindigkeit oder Beschleunigung inhaltlich gearbeitet wird. Phasen helfen auch, subjektiv-individuell unterschiedliches Zeiterleben (s.u.) auf Team- und Organisationsebene wieder zu synchronisieren.
    • Rhythmisieren von Zeit: Eine vernachlässigte Dimension ist das Rhythmisieren der Bewegung in der Zeit. Viele lebendige Systeme finden eine gewisse Stabilisierung in einer Rhythmisieren ihrer Abläufe über der Zeit. So haben wir einen rhythmisierten Herzschlag, in der Natur finden sich wiederkehrende Jahreszeiten oder Gezeiten. Die Untersuchung von Wirkungen von Rhythmisieren auf den Erfolg von Veränderungsvorhaben wurde bisher nur in sehr geringen Maße untersucht. Vereinzelte Studien zeigen allerdings eine positive Wirkung auf den Erfolg. (z.B. Klarner & Raisch, 2013)
  • Individuelles Zeiterleben – Hierunter fassen wir verschiedene Dimensionen, wie
    • Zeitkanäle (von Kibéd, 2015) stellen eine gewisse Art von genereller Vorstellung dar, die Menschen individuell, in bestimmten Situationen von Zeit haben können. Wir können hier mit von Kibéd zwei Hauptkanäle und zwei Nebenkanäle unterscheiden. Die Zeitkanäle können individuell und kontextabhängig auftauchen, teilweise gibt es allerdings individuelle Präferenzen:
      • Iter Modus: Im Iter-Modus befinden wir uns quasi in Bewegung durch die Zeit. Wir sehen die Zeit als stehenden Raum, durch den wir uns bewegen. Aussagen wie zum Beispiel: “Wir haben noch einen langen Weg vor uns.” oder “Wir haben schon die wichtigsten Schritte getan.” weisen auf diesen Zeitkanal hin.
      • Flex Modus: Im Flex Modus stehen wir quasi still und die Zeit bewegt sich an uns vorbei. Aussagen wie “Das Ziel ist einen Schritt nähergerückt.” oder “Die Ereignisse sind an uns vorbeigezogen.” deuten auf diesen Zeitkanal hin.
      • Agonaler Modus: In diesem Modus nehmen wir Zeit als eine Art Wettlauf wahr, in dem wir uns schneller als die Zeit sehen – “wir sind schneller als der Wettbewerb” , “wir sind unserer Zeit voraus” oder aber “den Wettlauf gegen die Zeit verlieren”.
      • Präsenz Modus: Im Präsenzmodus ist ein Bild der ewigen Gegenwart gemeint. Gegenwärtiges, Zukünftiges und Vergangenes wird als nebeneinander stehend empfunden. Dies wird in Change- und Coaching Prozessen bspw. dann gezielt als Intervention eingesetzt, wenn es darum geht, in einer lösungsfokussierten Arbeitsweise in die Vergangenheit zu springen, um nach wertvollen Ressourcen für einen Veränderungsprozess zu suchen (“wo hat so etwas schon mal gut funktioniert?”) oder aber aktiv in die Zukunft zu springen, um den noch nicht realisierten gewünschten Zustand bereits heute in der Gegenwart klarer in den Blick zu bekommen.
    • Subjektives Zeitempfinden: Neben diesen eher generellen, kontextabhängigen Zeitvorstellungen können einzelne Personen Zeit als sehr unterschiedlich wahrnehmen. So bedeutet eine normale Veränderungsgeschwindigkeit für den Einen, manchmal ein “zu schnell” für einen Anderen. Gerade in Changeprojekten führt dieses individuelle Zeitempfinden oft zu Verwerfungen und können eine Ursache darstellen, die als “Widerstand” einzelner Personen oder Gruppen wahrnehmbar wird.

Interventionen

Interventionen in der Zeitdimension können auf unterschiedlichen Ebenen mit unterschiedlichsten Ansätzen erfolgen. Dabei kann die individuelle Ebene von der Team- und Organisationsebene unterschieden werden.  Ein Zusammenspiel der Maßnahmen über die Ebenen hinweg einerseits und über die drei Changedimensionen andererseits kann helfen, eine höhere Wirksamkeit in Changeprogrammen zu erzielen. (Mack, 2012)

Haben sie Beispiele oder persönliche Erfahrungen?

Quellen:

Klarner, P. & Raisch, S. (2013) Move to the beat—Rhythms of change and firm performance. Academy of Management Journal.

[Online] 56 (1), 160–184. Available from: http://amj.aom.org/content/56/1/160.short [Accessed: 20 April 2014].

Mack, O. (2012), Change Management (nicht so) leicht gemacht (3): Von Aggregatszuständen, Zeitbegriffen und Selbstähnlichkeiten, http://www.mack-consulting.at/change-management-3/  [Accessed: 27 October 2015].

von Kibéd, M. (2015), Zeit als Weg, Zeit als Fluss, Praxis Kommunikation 3/2015, S. 18-21.

Wimmer, R. (2010) Systemische Organisationsberatung – jenseits von Fach- und Prozessberatung. Revue für Postheroisches Management. (7), 88–103.