VUCA WeltenDer Begriff VUCA macht die Runde. Entstanden aus der unsicheren Lagebeschreibung amerikanischer Militärs beim Afghanistan Einsatz, beschreibt er auch gut das heutige Umfeld von Unternehmen, denen sich heutige Führungskräfte gegenübersehen (vgl. Horney, N. et al. 2010):

  • Volatilität (Volatility): Die zunehmende plötzliche Veränderung der Situation. Ohne Vorwarnung und ohne die Chance einer Prognose verändern sich plötzlich die Preise an Aktienmärkten und Rohstoffmärkten, die Kundenwünsche und andere Parameter, die in der Vergangenheit eher stabil waren.
  • Ungewissheit (Uncertainty): Die Bewusstwerdung, dass Zukunft nicht vorhersehbar ist und dass der Komfort der Planbarkeit in der Nachkriegszeit durch ungesättigte Märkte und damit der Möglichkeit sehr einfache Prognosemodelle zur Extrapolation der Vergangenheit zur Vorhersage der Zukunft anzuwenden. Dies ist durch den großen globalen Wettbewerb und zunehmend gesättigte Märkte nicht mehr möglich.
  • Komplexität (Complexity): Eine wahrgenommene Steigerung der Komplexität unserer Umwelt. So scheint alles mit allem verbunden, alles nicht mehr vom Individuum überschaubar und führt zunehmend zur Überforderung (Burnouts etc.)
  • und Mehrdeutigkeit (Ambiguity): Es gibt zunehmend kein “richtig” und “falsch” mehr. Gerade Führungskräfte sehen sich zunehmend Situationen gegenüber, in denen Sie durch zunehmende Risikosensibilisierung versuchen, ihre Entscheidungen immer mehr zu quantifizieren und anhand von immer mehr Informationen zu validieren. Sie bemerken allerdings vielfach, dass weitere Informationen nicht mehr zu einer Verbesserung der Entscheidungsgrundlage führen und sie unauflösbaren Mehrdeutigkeiten ausgesetzt sind, die sie aushalten müssen und dennoch die von ihnen erwarteten Entscheidungen treffen müssen.

Unserer Analyse nach lässt sich das VUCA Phänomen auf ein bis zwei Parameter reduzieren, wobei der richtige Umgang mit diesen Parametern zu deutlichen Verbesserungen im Führungshandeln führt (Mack/ Khare, 2015):

  • Komplexität: Im Zentrum der Veränderung im Umfeld steht die Komplexität. Unsere mechanistischen Modelle und Weltbilder linearer Ursache und Wirkungsbeziehungen, die in der industriellen Revolution kulturell geprägt und aufgrund der Situation auch als valide Modelle nützlich und anwendbar waren, funktionieren nicht mehr. Es geht vielmehr darum, unsere Welt, auch die Geschäftswelt konsequent als komplexe Systeme zu konzeptualisieren und zu verstehen. Seit den 70er Jahren hat die Systemtheorie, die Komplexitätstheorie, die Chaosforschung und die Neurowissenschaften so umfangreiche Fortschritte gemacht, dass es fast unverantwortlich ist, an den klassischen Modellen, die in den vergangenen Jahrzehnten an Business Schools gelehrt wurden und daher auch in der Praxis weitestreichende Verbreitung haben, festzuhalten.
    Die Konzeptionalisierung von Organisationen und Umfeld als komplexe Systeme ist eng mit der Netzwerktheorie und der Vernetztheit der Elemente in komplexen Systemen verbunden. Diese enge Vernetzung von Akteuren auf unterschiedlichen Systemebenen, wie Einzelperson, Team, Organisation, Branche, Industrie, Gesellschaft führt zu den oben beschriebenen Wirkungen komplexer Systeme, wie Volatilität und Unvorhersagbarkeit und schließlich mehrdeutigen Entscheidungssituationen. Wird diese richtig verstanden ergibt sich ein völlig neues Repertoire an Beobachtungs- und Steuerungsinstrumenten für Führungskräfte. Diese Vernetztheit von Systemen und Systemelementen hat in den letzten Jahren signifikant zugenommen. Die zunehmende Globalisierung der Weltwirtschaft stellen heute eine noch nie dagewesene, enge Vernetzung verschiedener Systemebenen und Systemelemente dar, deren Auswirkung sich in komplexem und chaotischem Systemverhalten widerspiegelt. Technologische Vernetzung über das globale Internet und Kommunikationsmedien, personelle Vernetzung globaler Unternehmen über globale Stellenbesetzungen, zunehmende Reisetätigkeiten, globale Projektteams sowie globale Wertschöpfungsketten und der globale Waren- und Dienstleistungshandel sind Beispiele dieses Vernetzungsgrades.
  • Neben dieser Komplexität und Vernetztheit ist ein zweiter Faktor die zunehmende Dynamik und Beschleunigung, der wir heute in vielen Lebensbereichen ausgesetzt sind (Rosa, 2005) Veränderungs- und Diffussionsprozesse die früher Monate und Jahre benötigten, können sich heute in Monaten, Stunden, Minuten oder gar Sekunden abspielen. Ein gutes Beispiel sind Aktienmärkte, die zu weiten Teilen bereits überwiegend über elektronische Marktteilnehmer funktionieren. Die rasante technologische Entwicklung in Kombination mit der globalen Vernetzung führt zu einer Art “Beschleunigungsmaschine”, die sich gegenseitig befeuert und zu einer zunehmenden Dynamisierung führt. Der zunehmende Wettbewerbsdruck auf den globalen Märkten zwingt Unternehmen zur Adaption von Technologien, die helfen, einen Wettbewerbsvorteil zu erzielen. So helfen eMails, die schriftliche Kommunikation im Vergleich zu den gedruckten Memos der 60er, 70er und 80er Jahre signifikant zu beschleunigen, ebenso elektronische “Projekträume” zur Datenablage und Kommunikation. Die zunehmende Einführung und Anwendung dieser Tools und Ansätze führt wiederum zu Anreizen, neue elektronische Tools und Prozesse zu entwickeln, die weitere Geschwindigkeitsvorteile haben, um wiederum einen Schritt der Konkurrenz voraus zu sein. So entsteht eine Art “Beschleunigungsmaschine”, die sich selbst befeuert und als Grenze nur die technischen, sozialen und biologischen Beschränkungen hat.

Die Beschränkungen in diesen drei Bereichen scheinen dabei von unterschiedlicher Zeitlichkeit und Plastizität. Je nach Thema und Bereich scheinen wohl die biologischen Grenzen des Menschen zwar im Bereich des Denkens und Handelns sehr kurzfristig anpassungsfähig, dennoch sind dem menschlichen Körper biologisch-organische Grenzen gesetzt. Diese Grenzen scheinen in sozialen und technischen Systemen anders ausgeprägt: In sozialen Systemen scheinen die Anpassungszeiträume länger als beim Individuum, aufgrund der Möglichkeiten der Ausprägung anderer sozialer Strukturen und Prozesse scheinen diese jedoch hinsichtlich des Handlungsrepertoires plastischer als das biologische Individuum. Technologische Entwicklungen scheinen derzeit aufgrund der Möglichkeiten von Modularisierungen und “Kapselung” von technischer Komplexität/ Kompliziertheit schneller und auch plastischer.

Es bleibt die Frage, was ist wirklich neu an VUCA? Alter Wein in neuen Schläuchen? Ich würde sagen teils teils. Alt sind sicherlichdie theoretischen Grundlagen und die Beschäftigung mit Komplexität, Chaos und Netzwerken in verschiedensten Wissenschaftsdisziplinen. Neu ist wohl, dass zum ersten Mal in der Geschichte Unternehmen und Führungskräfte zunehmend erkennen, dass ein “Mehr vom Alten” nicht mehr ausreicht und ein Paradigmenwechsel notwendig ist, bei dem die neueren wissenschaftlichen Erkenntnisse zügig in den Unternehmensalltag überführt werden müssen, um weiterhin am Markt zu bestehen und zum Wohle aller relevanter Stakeholder zu agieren.

Aus diesen Betrachtungsweisen ergeben sich dann auch zahlreiche Anknüpfungspunkte zur Forschung und Anwendungsentwicklung, die wir im xm-institute versuchen, gemeinsam mit Experten aus unterschiedlichsten Disziplinen und Praktikern unterschiedlichster Branchen und Unternehmen praxisnah zu ergründen und hieraus konkrete pragmatische Tools und Konzepte zu entwickeln. Eine erste wissenschaftliche Publikation zu diesem Thema VUCA haben wir kürzlich gemeinsam mit Kollegen aus Österreich, Deutschland, Kanada und anderen Ländern veröffentlicht. Hierbei diskutieren wir Auswirkungen einer VUCA Welt auf verschiedenste Fachbereiche und Disziplinen:

Die Printvariante erscheint demnächst:

Die digitale Variante ist bereits bei Springer auch kapitelweise erhältlich:

http://www.springer.com/de/book/9783319168883

 

 


 

Horney, Nick/ Pasmore, Bill; O’Shea, Tom (2010): „Leadership Agility: A Business Imperative for a VUCA World“. In: People & Strategy. 33 (4), pp. 32–38.

Mack, O./ Khare, A. (2015): Perspectives on a VUCA World. In: Mack, O./ Khare, A. et al.: Managing in a VUCA World, Springer 2015, pp. 3-19.

Rosa, H. (2005). Beschleunigung. Die Veränderung der Zeitstrukturen in der Moderne. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2005.