Erpenbeck, Sauter, Wertetraining - Rezension - Oliver Mack - xm-instituteDie Autoren und das Thema

Wir hatten erst vor einiger Zeit das umfassende Werk “Future Learning und New Work” des Autorenduos rezensiert. Die beiden Autoren hatten hier ein über 500 Seiten starkes Werk zum Thema Lernen in Organisationen vorgelegt. Dabei hatten wir den Aspekt positiv herausgestellt, dass laut Erpenbeck/ Sauter Kompetenz- und Wertentwicklung in Form betrieblichen Lernens immer Hand in Hand gehen sollten. Nun ist bei Vahlen ein Buch der beiden Autoren erschienen, das sich vorrangig mit der Werte-Seite beschäftigt und der These, dass Werte systematisch “entwickelt” werden können.  Dabei gehen die Autoren vertieft auf die bereits im genannten Buch angesprochenen Ideen zum Thema Werteerfassung und Wertentwicklung ein. Wir haben es uns das Buch etwas genauer angesehen.

Beide Autoren sind Hochschullehrer und damit aus dem Bereich der Wissenschaft. Dennoch haben sie ihre eigene Beratungsgesellschaft und haben in diesem Zusammenhang eigene Kompetenz- und Werteerfassungssysteme für Organisationen entwickelt. Das Buch umfasst rund 350 Seiten und beinhaltet neben einem Glossar ein umfangreiches Literaturverzeichnis.

Der Inhalt

Das Buch gliedert sich in drei Hauptteile:

  • Im ersten, rund 20 Seiten starken Teil geht es um die theoretischen Grundlagen zum Thema Werte und Wertentwicklung, wie sie die Autoren verstehen. Schön arbeiten die Autoren bereits zu Beginn die Schlüsselunterschiede zwischen Kompetenzen und Werten heraus. Einer der wichtigsten ist dabei die Gemeinschaftsorientierung der Werte im Gegensatz zur Individualorientierung der Kompetenzen. Weiters können Kompetenzen direkt auf bestimmte Handlungen zurückgeführt werden und werden zur Erreichung bestimmter Ziele eingesetzt. Werte beschreiben eher welches Handeln generell wünschenswert ist, schränken den Handlungsraum damit eher ein, lassen aber konkrete Handlungen offen und beschreiben eher wünschenswerte Wertebeispiele in Form von “Wertewolken” als spezifische Wertehaltungen. Weiters beschreiben die Autoren die drei Schritte der Wertebeschreibung, Werteerfassung und der Idee des Wertetrainings (Sollwerte) auf den drei Ebenen Organisation, Team und Individuum. 
  • Der zweite Teil ist mit “Methoden des gezielten Kompetenztrainings” überschrieben. Auf gut 100 Seiten werden hier verschiedene Aspekte eines gezielten Wertetrainings aus Sicht von Erpenbeck/ Sauter beschrieben. Dabei geht es zunächst um die Frage der Werteerfassung. Hierzu stellen die Autoren diese als Grundlage des Wertetrainings vor und beschrieben Aspekte wie Werte und Persönlichkeit oder verschiedene Verfahren der Werteerfassung. Natürlich spielt hier das von den Autoren entwickelte Wertemodell und Wertemesssystem KODE(r)W mit 4 Basiswerten und insgesamt 16 Schlüsselwerten eine tragende Rolle. Im Anschluss geht es dann um das Wertetraining selbst. Hierzu werden verschiedenste Praktikerverfahren, Aspekte des Coaching und Mentorings, Übungsmethoden sowie weitere unterstützende Methoden durch Bildung und Weiterbildung (Wissensebene) vorgestellt. Dies erfolgte in abgekürzter Form schon im Buch “Future Learning und New Work” und wird hier noch ausgeweitet und vertieft. Der Methodenkoffer ist breit mit altbekannten und modernen Verfahren, wie Wertequadrat, Serious Games, Outdoor-Training, Coachingmethoden, aber auch Methoden wie Design Thinking, KANBAN, WOL oder Kollegiale Beratung gefüllt.
  • Der dritte Teil versucht dann auf Basis der zu Beginn des zweiten Kapitels herausgearbeiteten 16 Schlüsselwerte ein Mapping der dort vorgestellten Verfahren auf diese Schlüsselwerte und eine Beantwortung der Frage, wie jeder einzelne dieser Werte wohl am Besten trainiert werden kann. Die Autoren sehen hier einige Verfahren besser oder schlechter geeignet, um hier Wertentwicklung zu betrieben. So ist jedem der Schlüsselwerte einheitlich strukturiert ein Unterkapitel gewidmet, das folgende Elemente aufarbeitet: Beschreibung und Definition des Wertes, die Verrottung des Wertes im Wertequadrat, das Wertekleeblatt, Art und Weise des Trainings und Ziele, Praxis und Projekte, Begleitendes Coaching und Mentoring, Ergänzende Übung, Unterstützende Weiterbildung, sowie 1-2 konkrete Beispielgeschichten.

Das Fazit

Die Grundidee, in Organisationen konkret an Werten zu arbeiten ist nicht neu und sicherlich nützlich und wichtig. Erpenbeck/ Sauter legen hierbei ein umfassendes und systematisches Werk zu diesem Thema vor.  Es bietet eine Vielzahl an Ideen und Ansätzen und glänzt durch den Umfang der Bearbeitung und der Vielfalt an verschiedenen Aspekten einer Wertentwicklung. Das Buch richtet sich damit aus meiner Sicht vor allem an Wissenschaftler und HR Development Experten, die sich mit dem Thema Wertentwicklung vertieft auseinandersetzen wollen. Auch wird das systematische und über lange Jahre elaborierte und wissenschaftlich erprobte Verfahren gerade in großen Unternehmen mit der Idee der Wertebeschreibung, Werteerfassung und Wertentwicklung in Form einer Definition von Ist- zu Sollgrößen Fans haben und finden. Auch bietet sich das Buch als Nachschlagewerk an, wenn es darum geht, für einen bestimmten Schlüsselwert Ideen zu bekommen, wie man hier verstärkt ansetzen könnte, um die Frage zu beantworten “Was könnten wir intern, als Organisation, als Team, ich selbst tun, dass der Wert xy eine größere Bedeutung bekommt?” 

Doch vollständig überzeugt hat das Buch mich mit meinem langjährigen Praxishintergrund zum Thema Wertearbeit und werteorientierte Führung nicht. Vielleicht auch, weil wir am xm-institute anders arbeiten und es mir schwergefallen ist, mich vollständig in diese andersartige Arbeitsweise und Haltung einzudenken. Wir sehen Wertearbeit vor allem begleitend in jedem einzelnen Workshop den wir durchführen und in der Art und Weise, wie Führungskräfte als Vorbild im Alltag diese Werte in Ihrem Verhalten zeigen und damit als Verantwortung und Kern vor allem der Führungskräfte- und Führungskräfteentwicklung. Ebenso stehen Werte aus unserer Sicht immer im Widerspruch zueinander, so dass es aus unserer systemischeren Sichtweise weniger um die Werte an sich, sondern vielmehr um die Beziehungen der Werte zueinander im, konkreten Kontext geht, also um das, was zwischen den einzelnen Werten steht. Auch stellt sich eine weitere Frage eher auf einer ethischen Ebene: In wieweit steht es einer Organisation überhaupt zu, die Werte hinter dem Handeln der Mitarbeitenden zu ergründen und eine Wertentwicklung bei Ihren Mitgliedern systematisch und vielleicht sogar verdeckt zu betreiben. Ist es für mich als Organisation wichtig, dass ein Mitarbeitender den Wert “Kreativität” wirklich als Leitlinie seines Handelns hat, oder genügt es mir, dass eine Führungskraft ein Verhalten an den Tag legt, das das Thema Kreativität in der Art und Weise berücksichtigt, wie das Unternehmen und der spezifische Bereichskontext dies erwartet, ohne vielleicht selbst Kreativität als besonders ausgeprägten Wert zu haben? Leider können wir an dieser Stelle nicht vertiefend auf unser Verständnis zum Thema weiter eingehen, somit sei vielleicht auf zukünftige Blogposts verweisen.

Sehr gefallen am Buch haben mir einerseits die vertiefte generelle Aufarbeitung unterschiedlichster Entwicklungsmethoden in ihrer dargestellten Breite, wie auch die beispielhaften Beschreibungen zu den 16 Schlüsselwerten, auch wenn sie für mich rein vom Lesen des Buchs heraus teils etwas theoretisch, aufwändig, teils offensichtlich, manchmal linear und manchmal mechanistisch angefühlt haben. Ein großes Verdienst des Buches ist sicherlich seine systematische Aufarbeitung. Diese erfüllt voll den zu Beginn des Buches adressierten Zweck, aufzuzeigen, dass eine Entwicklung von Werten und nicht nur von Kompetenzen grundsätzlich und mit vielerlei Ansatzpunkten möglich ist.

Also alles in allem für mich eine eingeschränkte Leseempfehlung für Vollblut-Praktiker, aber gut geeignet  für Wissenschaftler und HR Experten, die sich dem Thema aus der spezifischen Brille der Methodik von Erpenbach/ Sauter nähern möchten oder diese bereits kennen und umfassend vertiefen wollen.

Erpenbeck, J./ Sauter, W. (2022). Wertetraining: Praxis, Coaching, Übung und Bildung für die gezielte Werteentwicklung von Persönlichkeiten. Schäffer-Poeschel.