Mit dem Untertitel “Das unverzichtbare Handbuch für die Personal- und Organisationsentwicklung” ist vor Kurzem bei Schäffer-Poeschel ein Buch zum Thema New Work erschienen, das ich mir heute einmal genauer unter die Lupe nehmen möchte.

Obwohl auf dem Cover nur Götz Piwinger, ein Unternehmensberater und Professor an der Hochschule Basel, verzeichnet ist, ist das Buch ein Gemeinschaftswerk verschiedenster Autoren, die, so der Text, Götz Piwinger zur Mitwirkung am Buch eingeladen hat, “um ein möglichst ausgewogenes Bild zu diesem Thema zu gestalten.” Es handelt sich hierbei um Professoren, wie Matthias Gouthier, Hans-Günter Lindner und Werner Sauter, aber auch weitere BeraterInnen und Praktiker, wie Petra Richard, Roman Sauter, und Niklas Zilles. Diese sind auch als Autoren bei den jeweiligen Kapiteln im Inhaltsverzeichnis aufgeführt. 

New Work?

New Work wird aktuell sowohl in der Literatur wie auch in der Praxis sehr vielfältig verstanden. Daher ist es wichtig, diesen Begriff bereits zu Beginn aufzugreifen. Im Editorial wie im ersten Kapitel tut dies Piwinger auch, wobei schnell deutlich wird, dass er diesen Begriff vor Allem im Kontext von Werten, Handeln und Organisationalem Lernen sieht. Dabei bedeutet New Work für den Autor eine neue Arbeits- und Unternehmenskultur, die aus dem Zusammenspiel von Werten und Kompetenzen besteht und eigenständiges Handeln forciert. (Piwinger, 2020, 13). Auf eine Auswertung aktueller Literatur zum Begriff und Wesen wird wohl zugunsten eines Praktiker-Ansatzes verzichtet. In den weiteren Kapiteln soll es nun darum gehen “die besten Lösungsansätze” durch ein “Team aus Wissenschaftlern und Praktikern” zu beschreiben.

Neben dem Einstiegskapitel und dem Kapitel “Masterplan” gliedert sich das Buch in sieben Hauptkapitel mit unterschiedlichen Autorenkombinationen. Diese haben folgende Überschriften:

  • Die Bedeutung von Werten
  • Ein strategischer Anker namens Kompetenz
  • Lernen als Teil der Arbeit
  • Information-/ Knowledge Management: Workflow und Fundament
  • Service Excellence
  • Beyond Personalentwicklung
  • Unternehmenskultur – das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile

Werte

Das erste Hauptkapitel widmet sich den Werten. Dabei soll die Methode KODE(r)W, ein Produkt der KODE(r) GmbH im Mittelpunkt der Betrachtung stehen. Zu Beginn wird das Verständnis zum Thema Werte definiert. Schön wird beschrieben, was Werte sind, wie sie sich bilden und verändern können. Das vorgestellte Wertemodell basiert auf vier menschlichen Grundbedürfnissen, die als grundlegende Wertedimensionen gesehen werden. Im Folgenden wird dann das KODE(r)W Werte-Modell, das auf dieser Sichtweise beruht, weiter ausgeführt. Anschließend erfolgt ein Unterkapitel zur Werteerfassung mit dem Verfahren KODE(r)W. Verwiesen wird hier in der Beschreibung auf einen konkreten Fragebogen-Auszug, den ich allerdings leider nicht finden konnte. Eine vertiefte Analyse zur Methodik wurde hier den Rahmen sprengen, wäre allerdings einmal interessant, gesondert zu betrachten. 16 Einzelwerte werden auf Rating-Skalen in Ist und Wunsch auf Individual-, Team- und Organisationsebene erfasst.

In der Folge geht es dann um Ideen zur Gestaltung eines organisationalen Wertemanagements, wobei dieser eng an die Vorgehensweise und den langjährigen Erfahrungen der Autoren vermutlich aus ihrem Beratungskontext angelehnt ist. Dabei werden in jeder Phase die notwendigen Schritten wie auch Ideen zur Umsetzung beschrieben.

Ein weiteres Kapitel ist dann einem “Himmelsblick der Führung auf die Individuelle Wertebetrachtung” gewidmet. Das Kapitel beinhaltet laut Autorin, “Erfahrung des Overview-Effektes, quasi wie ein Mosaikbild aus vielen Steinchen, das erst aus der Ferne erkennbar wird.” (S. 40) So betrachtet  Petra Richard die Zukunft des Arbeitsmarktes, die Anforderungen des Arbeitsmarkts an den Einzelnen, die ihrer Ansicht nach bei vielen Menschen von Angst geprägt zu sein scheinen. (Dies erlebe ich in meinem Umfeld so nicht.) Dies erfordere ihrer Ansicht nach ein neues Denken, das sie mit “höheren Ebenen”, die mitschwingen, beschreibt. Es geht um Spiritualität, Herzensbildung und geistige Bewusstseinsveränderung und “Schwingungen, die als Imprint unserer Körperzellen gespeichert sind” und Erfahrungswissen: “Durch Menschen, die ein enormes Erfahrungswissen besitzen, kann und wird die Transformation bewusst gesteuert. Deren Bewusstsein schwingt auf einer höheren, transformierten Ebene, den sogenannten Beta-, Alpha-, Theta- oder Deltawellen.” Es geht dann weiter über die Individualität der Werte, Vision hin zu Reiss Motivationsprofilen und Zukunftskompetenzen, wobei mir im Verlauf dieses Kapitels der “Rote Faden” teils ein wenig abhanden kam. Ich persönlich konnte mit diesem Kapitel eher weniger anfangen.

Kompetenz

Das nächste Hauptkapitel bespricht das Thema Kompetenz und Kompetenzmanagement. Hierzu wird auch ein weiteres Beratungsmodell der Autoren, der sogenannte Competence Management Action Plan eingeführt und kurz beschrieben. Für mich blieb allerdings unklar, wofür dieser an dieser Stelle notwendig war. Dies klärt sich dann später etwas weiter hinten im Buch, wo er mit anderen “Handlungsmodellen” zum “Masterplan” zusammengeführt wird.

In einem weiteren Subkapitel beschreiben die Autoren Sauter/Sauter ihre Sicht der Begriffe Wissen, Qualifikation, Fertigkeiten und Fähigkeiten, um schließlich beim Kompetenzbegriff anzukommen. In einem weiteren Schritt sehen sie die Kompetenzmessung als zwingende Voraussetzung für Kompetenzentwicklungsprozesse in Organisationen an. Auch hierzu wird wieder eine Ratingmethode vorgeschlagen und begründet. Im Folgenden wird dann auf die Methode KODE(r) und KODE(r)X als ein hierfür geeignetes Produkt eingegangen. Dem Leser ohne Vorkenntnisse der Methode sei empfohlen, hier vertiefend in den Originalquellen nachzulesen, da die Abhandlung sehr kurz gehalten ist. Eine Beschreibung z.B., wie die Skalenpunkte beschrieben werden, wird hier nicht gegeben. Dies wäre allerdings entscheidend, um zu verstehen, wie der Bewertungsmechanismus funktioniert.

Im nächsten Unterkapitel geht es um die Kompetenzentwicklung. Hierzu werden basierend auf den Abstufungen Wissen, Qualifikation und Kompetenzen unterschiedliche Lernformen dargestellt. Hier wird auch wieder die Brücke zu Agilen Methoden und anderen aktuellen Formaten gezogen, die in diese Beschreibung einfließen und aus der Kompetenzentwicklungsbrille heraus betrachtet werden.

Lernen

Dieses Hauptkapitel beschäftigt sich mit dem Thema “Lernen”. Piwinger hebt aus seinem Einstiegstext zwei Punkte visuell besonders hervor:

  • “LERNEN
      Lernen ist, neue Erfahrungen in jeder Form zum bestehenden Portfolio beizusteuern.” (S. 83)
  • Zwischenfazit
    Weil uns Menschen die Schwarmintelligenz fehlt, brauchen wir digitale Krücken! Dies könnten Wissensmanagementprozesse sein oder 360-Grad-Workflow-Lösungen.” (S. 83)

Weiter geht es dann mit Beispielen zu modernen Lernformen und wieder einem “Handlungsmodell” analog zum bereits vorgestellten Competence Management Action Plan.

Im ersten Unterkapitel von Sauter/ Sauter geht es um “Führungskräfte als Mentoren und Entwicklungspartner” und sieht die Werte- und Kompetenzentwicklung von Führungskräften als “Ermöglichungsdidaktik”. Viele der hier beschriebenen Aspekte, die für mich leider sehr abstrakt bleiben, sehe ich bereits heute in vielen Organisationen als etablierte Ansätze der Führungskräfte-Entwicklung, wie sie von systemischen Beratern und Entwicklern seit jeher praktiziert werden. Beschrieben wird von den Autoren anschließend eine exemplarische Vorgehensweise, wie Lernen in Organisationen umgesetzt werden kann. 

Das zweite Kapitel beschäftigt sich mit dem Übergang vom Trainer zum Lernbegleiter. Hierbei betonen die Autoren, dass es ein Umdenken von Lehrarrangements zu Lernarrangements braucht. Diese These kann ich voll und ganz unterstreichen. In einer für mich gut gelungenen Art und Weise beschreiben die Autoren die hierfür notwendigen Haltungen und Kompetenzen und notwendigen Änderungen an Lernarrangements.

Im dritten Unterkapitel schreibt H.-G. Lindner in einem Ausflug zum Thema “Hochschule und New Learning – ein Widerspruch?” praktische Erfahrungen und Analysen zum Thema Digitalisierung der Lehre und Lehrveranstaltungen an Hochschulen anhand eigener Erfahrungen.

Informations-/Knowledge Management

Dieses Kapitel beschäftigt sich zunächst mit Knowledge Management. Anschließend entsteht auch hier wieder eine “Drehscheibe” als “Handlungsmodell”, der “Knowledge Management Action Plan”.

Service Excellence

Nach einer Einleitung beschreiben Matthias Gouthier und Niklas Zilles im ersten Unterkapitel ein Reifegradmodell für Fachabteilungen. Hierbei geht es um den Versuch, externe Servicequalität nach DIN SPEC 77224 auf interne Dienstleistungen zu übertragen. Sie beschreiben hierzu die Doppelrolle von internen Fachabteilungen und die Idee der internen Service Excellence. Als Antwort auf die Frage nach der Messbarkeit wird das Konzept des Reifegrads beschrieben und ein aus einem Projekt heraus entwickeltes Reifegradmodell vorgestellt. Eine kurze betriebswirtschaftliche Betrachtung schließt das Kapitel ab.

Beyond Personalentwicklung

Diese Kapitel leitet Piwinger mit dem Schlagwort der “Embeded HR” ein. Im ersten Unterkapitel geht es sodann um Mitarbeitergespräche. Hierbei verweist der Autor auf die Nützlichkeit der Digitalisierung und eines digital gestützten Prozesses. Sodann schwenkt der Autor im nächsten Kapitel auf eine betriebswirtschaftliche Betrachtung, bei der er verschiedene Effekte in der Struktur der vorgestellten “Handlungsmodelle” ableitet. 

Unternehmenskultur 

Dieses Kapitel macht in der Einleitung einen Ausflug über eine Andeutung zur sozialen Netzwerkanalyse, der Employee Experience Journey und einigen Beispielen zu “Tools, Apps und Systemen” und abschließend mit einem Absatz zu “Gehör beim Management finden”.

Im einzigen Unterkapitel von Petra Richter “Das Gehirn als Vorbild für Unternehmenskultur” gehts um die Frage, wie Unternehmenskultur beschrieben werden kann. Hierzu werden exemplarisch Faktoren aufgelistet, die in einer möglichen Beschreibung enthalten sein könnten. Diese schließt mit der Feststellung: “Alle diese Punkte und noch viel mehr bilden die »Unternehmenskultur«. Diese Faktoren sind real, greifbar und lassen sich untersuchen und beeinflussen. Der Prozess ist einfach, wie die folgenden Schritte zeigen.”(S. 157) Es folgt ein kurzes Drei-Schritte Vorgehen, bevor auf die Bedeutung von Kreativität als Notwendigkeit für New Work umgeschwenkt wird und sodann die Funktionsweise des Gehirns erläutert und als Vorbild für Organisationen gesehen wird. Abschließend folgt noch ein 12- Punkteplan an Merkmalen einer neuen Führungskultur. Ein klares Bild, was Unternehmenskultur hier in Gänze bedeuten kann, entsteht bei mir leider nicht.

Der Masterplan

In diesem Kapitel beschreibt Piwinger die drei als “Räder” in früheren Kapiteln dargestellten “Handlungsmodelle” als integrierten “New Work Management Plan”. Einleitend konstatiert er “Leider ist der New Work Management Action Plan (NW-MAP) in einem Buch nicht perfekt darstellbar, aber dafür bietet der Verlag ja die Website zum Buch! (Erreichbar über den QR-Code auf Seite 5 am Anfang des Buches).”(S. 161) Den ersten Teil der Einschätzung teilend, muss ich sagen, dass auch mit Hilfe der Website für mich keine Klarheit in das Modell gekommen ist. Das Kapitel verbindet abschließend  die Idee der drei Maps oder Pläne zu einem ganzheitlichen Modell, das auch auf der Website der Autoren dargestellt wird.

Zusatzmaterial

Das Buch ist ferner in das Schäffer-Poeschel “myBook” Programm integriert, über das man zusätzliche Informationen zum Buch erhalten kann. Diese sind in diesem Falle:

  • Die Abbildungen des Buchs als PDF
  • Infos zu den Autoren
  • Vier 2-Minuten Videos zu verschiedenen Themen
  • Eine animierte (sehr klein geratene) Grafik

Über einen Link wird man zur Unternehmensseite von Prof. Piwinger geführt, auf der eine größere Version der Grafik und weitere Kurzfilme zu finden sind. 

Für mich persönlich fühlt sich der Zusatznutzen für den durchschnittlichen Leser eher begrenzt an. Durch die Beschränkung auf vier Kurzvideos und eine (zumindest auf meinem Bildschirm) schwer lesbare Grafik eher als Absprungpunkt auf die Unternehmensseite des Autor an.  

Fazit

Ein Urteil zu diesem Buch fiel mir nicht leicht und fällt für mich mehrschichtig aus: Aus meiner Sicht stellt das Buch ein Nischenprodukt dar. Da das Buch eine sehr spezielle Sichtweise des Themas und einen speziellen Beratung- und Analysefokus verfolgt, in dem vorrangig auf Produkte der Autoren verwiesen wird, waren für mich Titel und Untertitel eher wenig hilfreich, da ich mir auf dieser Basis etwas anderes unter dem Buch vorgestellt hatte. Ein klarerer Untertitel, aus dem die Richtung des Buchs deutlicher hervorgeht, könnte den potenziellen Lesern bei der Auswahl helfen.

Zitiert werden in vielen Feldern vorrangig nur sehr selektiv bestimmte Werke und Sichtweisen, vorrangig aus dem Umfeld der Autoren, was für ein Praktikerbuch durchaus in Ordnung ist. Dennoch fällt es damit schwer, andere Zielgruppen, die aus anderen Richtungen auf das Thema schauen, entsprechend gut abzuholen. Von einem “unverzichtbaren Handbuch” hätte ich hier eine mannigfaltigere Sichtweise erwartet.

Auch liest sich das Buch für mich schwerfällig und nicht sehr flüssig. Struktur, Schreibstil und Multi-Autorenansatz sind hier entsprechende Parameter. Wenn auch der eine oder andere inhaltliche Teil für Praktiker ohne Vorwissen zum Beratungsansatz der Autoren hilfreich ist, wird vom Leser an vielen Stellen Vorwissen und Interpretation erwartet. Auch wirkt das Buch auf mich ein wenig gehetzt fertiggestellt oder an einigen Stellen gar unfertig. Hier fehlt wie beschrieben ein referenzierter Teil eines Fragebogens, dort gibts in einem Hauptkapitel nur ein Unterkapitel und hier und da enden für meine Verhältnisse einzelne Kapitel manchmal sehr abrupt und unerwartet.

Alles in allem würde ich für den generellen Einstieg und die Vertiefung in der Thema “New Work” das Buch nicht empfehlen. Wer allerdings mit den Produkten und Beratungsansätzen der Autoren vertraut ist, findet vermutlich im Buch ergänzende Ideen und Hinweise.

Piwinger, G. (2020). New Work für Praktiker: das unverzichtbare Handbuch für die Personal-und Organisationsentwicklung. Schäffer-Poeschel.

Anmerkung zur Transparenz: Das Buch wurde dem Autor dieses Artikels vom Verlag kostenlos zur Rezension zur Verfügung gestellt. Die Meinung des Autors ist hiervon jedoch nicht beeinflusst.