Die Autoren und das Buch 

Anselm Bilgri - Maurizio Singh - Agiles Arbeiten - Agile Führung - Rezension - Dr. Oliver Mack - xm-institute Das heutige Buch ist rund 150 Seiten lang, kürzlich bei Vahlen als Hardcover und eBook erschienen und wurde von Anselm Bilgri und Maurizio Singh geschrieben. Es reiht sich mit seinem Titel in die Bücher zur Agilität ein, macht aber über seinen außergewöhnlichen Untertitel bereits neugierig: “Wo bleibt der Mensch bei der Agilität? Impulse aus der benediktinischen Regel”. So verwundert es auch nicht, dass das Buch ein Werk von zwei Autoren ist: Der Eine, Anselm Bilgri, Jahrgang 1953, ehemals Benediktiner-Mönch und Prior im Kloster zu Andechs, heute Unternehmensberater und der Andere, Maurizio Singh, Jahrgang 1982, Abteilungsdirektor im deutschen Sparkassen- und Giroverband zum Thema Banking & Digitale Ökosysteme.

Die Inhalte 

Das Buch ist neben eines umfassenden Einleitungskapitels von 26 Seiten in 6 Hauptkapitel gegliedert. Es schließt mit je zwei Seiten separatem Literatur- und Internetverzeichnis ab. Ein Stichwortverzeichnis ist nicht enthalten.

Das Buch ist zweigeteilt, wie die Autorenschaft. In der Einleitung sowie am Ende eines jeden Hauptkapitels gibts, wie der Untertitel verrät ein Kapitel mit einen Bezug zum Benediktinerorden und der Benediktregel. Die Hauptkapitel als solche widmen sich unterschiedlichen Aspekten der Agilität.

Schauen wir uns die einzelnen Kapitel etwas genauer an:

  • Einleitung
    In diesem Kapitel gehts zunächst um das Thema Benediktiner und Benediktinerregel. Der heilige Benedikt war ein Mönch, der um 480 in Nursia geboren sein soll und vor 1500 Jahren Ordensregeln verfasst hat. Mehr über sein Leben und die Geschichte der Benediktinerregel erfahren wir hier ebenso, wie deren fünf Grundprinzipien und das Menschenbild Benedikts. Abschließend geht es um die Frage, was Agilität und Klosterleben gemeinsam haben. So bekommt der mittelalterlich und klösterlich unbedarfte Leser in dieser Einleitung ein gutes kompaktes Bild mit den wesentlichsten Aspekten.
  • Kapitel 1: Idee der Agilität und agiles Leben verstehen
    Zunächst wird im ersten Unterkapitel obligatorisch das Thema SCRUM näher vorgestellt. Rollen, Regeln, Prinzipien und das Agile Manifest. Im zweiten Unterkapitel gehts dann um die neue Arbeit, über Frithjof Bergmanns Ursprungsidee  und das Thema “Personal Fabrication/ Fabbing” von Neil Gershenfeld. Dann gehts im dritten Unterkapitel um den übergreifenden Agilitätsbegriff im Sinne einer Dynamic Capability. Abschließend im 4. Teil des Kapitels die ersten “Benediktinischen Anmerkungen” zu diesem Kapitel. Hierbei wird auf die Benediktregel direkt Bezug genommen und darüber hinaus der eine oder andere Gedanken aus Sicht einer Klosterorganisation vermittelt.
  • Kapitel 2: Was macht agile Führung aus?
    Im ersten Teil geht es um das Thema Führung an sich und insbesondere um die Themen Vertrauen, Sinnvermittlung, Teamfokus, iterative Arbeit und Fehlermanagement. Hier werden praktische Geschichten geschildert, die die genannten Aspekte verdeutlichen und greifbar machen. Das zweite Unterkapitel ist mit “Führungen zu einer lernenden Organisation” überschrieben. Auch hier finden sich Geschichten von Maurizio Singh. Das gesamte Kapitel fasst er anschließend in einem “Agilen Führungsstern” zusammen. Im dritten Teil wieder die “Benediktinischen Anmerkungen” bei denen es diesmal um eine gute Führung im Klosterverbund geht.  
  • Kapitel 3: Führungskraft ohne Macht – Führungskraft mit Freiheit
    Hier gehts weiter um “gute Führung” in der Agilität. Von der Stellung der Führungskraft in der agilen Welt, Robert Greenleaf’s Servant Leadership und abschließend die “Benediktinischen Anmerkungen”, die deutlich machen, dass gute Führung keine neue Erfindung der Agilität ist, sondern bereits von Benedikt in ähnliche Form adressiert wurde. 
  • Kapitel 4: Der agile Mitarbeiter
    Dieses Kapitel beschreibt die Grenzen und Herausforderungen von Agilität im Alltag. Dafür gibts zahlreiche Geschichten aus dem Unternehmensalltag zu “Agilität ist nichts für Jedermann”, “Agilität löst nicht alle Probleme”, “Agilität kann sehr anstrengend sein” und kulminiert in der Antwort auf die Frage, was denn “den agilen Mitarbeiter” ausmacht. Hierzu nimmt Singh auf Daniel Pink und die drei Motivatoren Bezug, die er als notwendige Haltung agiler Mitarbeiter beschreibt. Die “Benediktinischen Anmerkungen” nehmen hierzu Bezug auf die Gedanken Benedikts zum einzelnen Mönch.
  • Kapitel 5: Das agile Mensch – Agilität benötigt ein starkes Ich
    Im vorletzten Kapitel des Buchs geht es um die Frage nach der Agilen Persönlichkeit. Dabei wird auf die Aspekte der Emotionalen Intelligenz nach Mayer/ Salovey Bezug genommen. So werden Eigenschaften wie Selbsterkenntnis, Agiles Mindset (u.a. Dweck’s Growth Mindset) und Selbstorganisation. Im 4. Teil geht es dann um die knappe Verbindung zwischen Psychologie und dem “agilen Menschen”, bevor abschließend die “Benediktinischen Anmerkungen” zur Grundhaltung der Anpassung für Abt und Mönche.
  • Kapitel 6: Die agile Organisation
    Im letzten Kapitel geht es um Merkmale einer agilen Organisation. Struktur und Klarheit in Prozessen, Mindset und Tools beherrscht das erste Unterkapitel. Teil zwei handelt von der psychologischen Sicherheit und den Säulen Angstfreie Organisation, Lernende Organisation und Kritikfähige Organisation. Die “Benediktinischen Anmerkungen” handeln vom Zusammenspiel von Abt und Mönchen und schließen das Buch abrupt ab.

Das Fazit

Ich war sehr neugierig auf dieses Buch. Nicht zuletzt deshalb, weil mich selbst das Thema mittelalterliche Klöster und deren Zusammenhang zu moderner Wirtschaft fasziniert. So organisierte ich als Führungskraft vor einigen Jahren für mein damaliges Konzernteam einmal für einen Tag im Kloster Heiligenkreuz bei Wien, einem Zisterzienserkloster, das es seit 1133 gibt und die nach der Benediktregel leben. Es ging mir darum, dort gemeinsam mit Mönchen und Mitarbeitern einen Tag am Thema Führung und Team zu arbeiten und zu sehen, was man aus dieser langen Tradition für den Unternehmensalltag lernen kann. Es war einer der interessantesten Tage und nachdenklichsten Abende, die ich als Offsite Workshop mit meinem Team jemals durchgeführt habe.

Und so muss ich auch sagen, alles in allem ein schönes Buch, das Bilgri und Singh hier vorlegen. Nicht zuletzt auch wegen der generationenübergreifenden Arbeit der beiden Autoren, die rund 30 Jahre Altersunterschied und unterschiedliche Lebenswege trennen. Es gelingt ihnen m.E., diese verschiedensten Sichtweisen und Erfahrungen in einer guten Art und Weise zusammenzubringen. Doch war es sicherlich auch ein inhaltlich herausforderndes Unterfangen: Einerseits die seit rund 1500 Jahren existierenden Haltungen, Regeln und Prinzipien des Hl. Benedikt auf der einen Seite und die der “agilen Management Mode” auf der anderen Seite.  Uneingeschränkt spannend fand ich die Teile zur Benediktregel und der daraus abgeleiteten generellen Führungsprinzipien, die ich vor allem Anselm Bilgri zuordnen würde. Großteils gut fand ich auch die Gedanken zum Agilen, die ich überwiegend Maurizio Singh zuweise. Auch wenn oder gerade weil bei den letzteren intensiv mit Beispielen eigener Erfahrungen gearbeitet wurde, so kommt teilweise m.E. eine tiefgründige breite Betrachtung agiler Konzepte leider vielleicht auch aufgrund des knappen Raums von 150 Seiten manchmal zu kurz. Hier haben wir auch in unseren Rezensionen schon differenziertere Werke gesehen. Doch trotz des knappen Platzes greift Singh einige wichtige Aspekte heraus.

Ist die Verschmelzung der beiden Teile gelungen? Aus meiner Sicht nur zum Teil. In mir blieb beim Lesen das Gefühl zurück, dass sich die Autoren die Arbeit am Buch zu klar aufgeteilt haben: Anselm Bilgri die Einleitung und die Benediktinischen Anmerkungen, Maurizio Singh die Agilität. Verbindungen werden so nur sehr punktuell und über vereinzelte “Fäden” hergestellt. Die tiefe Verbindung der beiden Aspekte unterbleibt. Auch endet das Buch sehr abrupt. Hier hätte ein Abschlusskapitel gut getan, welches eine abschließende Integration auch bei diesem Konzept noch ermöglicht hätte. So vergibt das Buch aus meiner Sicht zumindest teilweise die Chance der echten tiefen gegenseitigen Befruchtung. Dennoch wird auch so deutlich, dass auch agiles Management, Führung und Organisation nur “gutes” Management, Führung und Organisation sein kann, so wie dies Benedikt bereits vor über 1500 Jahren beschrieben hat. Und das Buch regt zum weiteren Nachdenken an.

So auch abschließend noch eine Erinnerung und ein kleiner Gedanke, der mir beim Lesen wieder in den Sinn kam: In den Anfängen meiner Beraterzeit – das ist nun schon über 25 Jahre her – war ich an einer Studie zu den Wirtschaftsbetrieben österreichischer Klöster beteiligt. Wir führten Interviews und ein Abt sagte mir damals: “Wissen sie, wir sind als Kloster nicht dazu da, (nur) Gutes zu tun. Wir sind (auch) dazu da, mit unseren Wirtschaftsbetrieben Geld zu erwirtschaften, mit dem wir dann Gutes tun können.” Und hier schließt sich der Kreis zur Benediktregel, die Klöstern ein faires Verhalten gegenüber ihren Abnehmern abverlangt: “Bei der Festlegung der Preise soll sich das Übel der Habgier nicht einschleichen. Man verkaufe sogar immer etwas billiger, als es sonst außerhalb des Klosters möglich ist, damit in allem Gott verherrlicht werde.” (RB 57.7ff.) (Bilgri/Singh, 2022, S. 46) Dies ist zwar fair, doch in einem Gespräch mit dem Ökonomen Tomáš Sedláček wies mich dieser darauf hin, dass gerade diese Vorgehensweise vermutlich zum großen wirtschaftlichen Erfolg der Klöster beigetragen hat: Durch den Verkauf unter Preis zogen die Klöster den regionalen Markt an sich. Unabhängige Anbieter konnten so ihre Waren schlechter verkaufen, kamen vermutlich teils sogar in Not und so konnten die Klöster ihren Besitz weiter ausdehnen. Und hier schließt sich der Kreis zur agilen Bewegung und New Work: Es geht nicht nur um die bessere oder humanere Art der Arbeit, es geht um eine wirtschaftlich erfolgreiche Arbeit unter guten, erfüllenden Umständen für die handelnden Menschen. Dies macht dieses Buch deutlich und so loht es sich einmal hineinzuschauen.

Bilgri, Anselm/ Singh, Maurizio (2022): Agiles Arbeiten – Agile Führung, Vahlen: München 2022.

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Anmerkung zur Transparenz: Das Buch wurde dem Autor dieses Artikels vom Verlag kostenlos zur Rezension zur Verfügung gestellt. Die Meinung des Autors ist hiervon jedoch nicht beeinflusst.