Das Buch und der Autor

Mirow - Wege aus der Komplexitätsfalle - Rezension - Dr. Oliver Mack - xm-instituteAnfang 2022 ist das Buch “Wege aus der Komplexität” von Michael Mirow im Hanser Verlag erschienen. Es umfasst rund 270 Seite und kommt in einem kompakten handlichen Hardcover Format.

Der Autor, Prof. Michael Mirow ist Wirtschaftsingenieur, der zum Thema Kybernetik promovierte und viele Jahre für die Siemens AG im Bereich Strategie tätig war. Er war Mitglied des Aufsichtsrates der Siemens AG und lehrte u.a. als Honorarprofessor an der LMU München, TU Berlin und Universität Innsbruck. Er ist Berater, Coach und Beirat verschiedener Technologieunternehmen.

Das Buch greift sein Promotionsthema “Kybernetik” wieder auf und befasst sich in pragmatischer Form mit den Herausforderungen zunehmender Komplexität und möglichen Ansätzen, dem zu begegnen.

Die Inhalte

Das Buch beinhaltet neben dem in 12 Hauptkapitel gegliederten Text und dem übersichtlichen Inhaltsverzeichnis einen Anhang, ein Literaturverzeichnis und Stichwortverzeichnis. Die Hauptkapitel sind jeweils in 3-5 Unterkapitel gegliedert. Dem eher “traditionell” gehaltenen Buch (klassischer Satz, wenig Design, gute Lesbarkeit, wenige nützliche Abbildungen), sind jedem Kapitel Kernfragen vorangestellt. Jedes der Kapitel schließt mit einer Zusammenfassung der Kernthesen ab. Beides hilft der Orientierung und auch Schnell- und Querlesern sehr.

Kapitel 1 beschreibt zunächst die “Komplexitätsfalle” in der sich Unternehmen heute befinden und gibt einen Überblick über das Buch selbst. Im 2. Kapitel “Komplexität, Autonomie, Information” geht es dann um die Frage nach den Ursachen zunehmender Komplexität sowie den ersten kybernetischen Ideen zum Umgang mit selbiger. Der Autor macht deutlich, dass nur eine höhere Autonomie, nicht der Versuch einer stärkeren Planung und Kontrolle in der Führung ein Lösungsansatz sein kann. Es geht dabei heutzutage weniger um die Macht einer Institution selbst (Größe, Marktmacht, etc.), als vielmehr um den intelligenten Einsatz von Informationen.

Kapitel 3 “Konglomerate und Monolithen – das Ende der Dinosaurier”beschreibt aktuelle Probleme traditioneller Großkonzerne aus einer komplexitätsbezogenen Sichtweise. Mirow stellt die Frage, ob Synergien, die das Fundament zur Bildung großer Einheiten waren, heute noch so gelten. Komplexität und Zeitwettbewerb bedingen eher ein flexibles Wertschöpfungsnetzwerk.

Im Kapitel 4 “Unternehmensorganisation – die Struktur muss passen” adressiert der Autor unter anderem am Beispiel Siemens Fragen zeitgemäßer Organisationsstrukturen, die Frage nach der Matrix sowie die neue Rolle von Unternehmenszentralen.

Kapitel 5 “Wie künstlich kann Intelligenz sein? – Ein Exkurs” stellt sich dann die Frage, wie die Digitalisierung und fortschreitende KI Unternehmen bei ihrem Weg aus der Komplexitätsfalle helfen kann. Dabei definiert Mirow Intelligenz als zielgerichtetes Verhalten und verortet KI als Technologie, die Organisationen zwar in ihrer Arbeit unterstützen, den Menschen aber nicht überflüssig machen kann. Er plädiert für einen intelligenten Einsatz im Zusammenwirken zwischen Mensch und KI.

Das 6. Kapitel “Macht der Führung – Macht der Märkte” diskutiert die Bedeutung des Führungssystems im Vergleich zu externen Stakeholdern. Dabei plädiert der Autor für gerade im Hinblick auf den Finanzmarkt und die breite Öffentlichkeit für eine offene Informationspolitik und eine Relativierung der Autonomie des internen Führungssystems.

Im Kapitel 7 “Die Rückkehr des ehrbaren Kaufmanns” erweitert der Autor dann die Sichtweise auf unterschiedlichste Stakeholdergruppen und diskutiert das Thema “Ethik”. Wie der Titel vermuten lässt, plädiert er für die Rückkehr des Bildes eines “ehrbaren Kaufmanns” in der Wirtschaft.

Die Länge des mit rund 50 Seiten relativ umfänglichen Kapitel 8 “Strategie – welcher Weg führt zum Ziel” verwundert nicht, wenn man den Werdegang des Autors kennt. Mit Leidenschaft widmet er sich hier seinem Kernthema. Eine praxisnahe Verpackung klassischer Ansätze wie der Positioning-School, des Kernkompetenz-Ansatzes und der Pfadabhängigkeit leiten das Kapitel ebenso ein, wie der Gedanke einer konsequenten Umsetzungsstärke. Dann gehts um die Auswirkungen der Digitalisierung und der Frage nach neuen Ansätzen, wie Plattformstrategien. Auch erteilt der Autor klassischen, zu sehr vereinfachenden Portfolioansätzen eine Absage und plädiert so nicht zuletzt für das kreative Element in der Strategiefindung.

Kapitel 9 widmet sich dann der “Innovation – Wie kommt das Neue in die Welt?” Praktische Gedanken und Erfahrungen zu inkrementellen und disruptiven Innovationen stehen im Mittelpunkt des kurzen Kapitels und werden durch den Ansatz des “Strategic Visioning” ergänzt.

Im 10. Kapitel “Vom Denken zum Handeln: Die Kunst der Umsetzung” betont der Autor die Bedeutung einer wirkungsvollen Umsetzung, die er mit 90:10 im Vergleich zur Strategie bewertet. Aspekte wie Kommunikation, Disziplin, Kontrolle und Konsequenz sieht er hier als Schlüsselelemente für den Erfolg.  

Diese vier Elemente vereint Mirow im Kapitel 11 “Das Strategische Führungssystem – Ein Beispiel” in einem System aus vier Elementen: Strategiekonferenz, Jährliche Strategiegespräche, Sonderprojekte und Quartalsgespräche. In diesem sehr traditionell anmutenden Ansatz wird der Charm des Buches erneut deutlich: Es zeugt von viel Erfahrung des Autors im Konzernumfeld und betont, dass es häufig keine neuen Ansätze benötigt, wie es die Agile Bewegung häufig propagiert. Vielmehr geht es um die konsequente Anwendung des gesicherten Wissens und der Erfahrung von “gutem Management”, das es konsequent und diszipliniert umzusetzen gilt.

Das abschließende Kapitel 12 “Unternehmensstrategien im 21. Jahrhundert: Was ist neu – was bleibt?” beschäftigt sich zusammenfassend mit den wichtigsten strategischen Aspekten des Buches und greift die Strategieoptionen in den drei Schlüsselbereichen Komplexität, Digitalisierung und Positionierung im gesellschaftlichen Umfeld auf. Ebenso fasst es die Aspekte zusammen, die laut Autor weiterhin auch in Zukunft in der Unternehmensführung Bestand haben werden und welche neu zu beachten sind.

Das als Anhang konzipierte Kapitel 13 “Information – Entropie – Ordnung” schließt das Buch ab. Diese eher theoriebetonten Gedanken versuchen den Blick eine Klammer zwischen der physikalischen Welt und der Welt sozialer Systeme zu schaffen, wie sie der Autor einschätzt. 

Das Fazit

Beim Lesen kam mir immer wieder das Bild vor Augen, in dem der Autor in seiner Beiratsrolle einem jungen Vorstand eines Tech-Unternehmens sein Werk in die Hand drückt, mit den Worten: “Ich denke hier steht alles drin, was sie brauchen, um erfolgreich in Die Zukunft zu gehen, aber auch  Konzerne besser zu verstehen, um mit ihnen zu kooperieren. Lesen sie das mal.” Es versucht, den Spagat zwischen traditionellem Führungs-Blick und viel Praxis- und Theorie-Erfahrung auf der einen Seite und den aktuellen Entwicklungen wie Digitalisierung, Komplexität, Beschleunigung und sozialen und ethischen Erwartungen an Unternehmen auf der anderen Seite zu schaffen. Dies gelingt dem Autor hervorragend in einer lehrreichen, praxisnahen und unaufgeregten Art und Weise. Alle, die Management-Moden und ein Wiederkäuen aktueller Managementtrends erwarten, werden enttäuscht. Aber alle, die Wert auf fundiertes, generationenübergreifendes Handwerkszeug in Sachen strategischen Unternehmensführung legen, werden fündig. Rein vom Titel her hatte ich mich etwas anderes erwartet. Lenkt er doch den Blick eher auf das Thema Komplexität. Mit dem Hintergrund des Autors und dem Untertitel macht er jedoch durchaus Sinn. Das Buch erfindet das Rad strategischen Managements nicht neu, lenkt den Blick aber auf die auch heute noch wichtigen Aspekte und erweitert das Denken auf die aktuellen Herausforderungen. Alles in allem eine schöne Leseempfehlung für Führungskräfte aller Ebenen im Mittelstand wie im im Großkonzern gleichermaßen. Auch “junge” Unternehmen finden wie bereits angesprochen viele Gedanken eines junggebliebenen “alten Hasen”, die im Unternehmensalltag nützlich sind.

Mirow, Michael (2022). Wege aus der Komplexitätsfalle. Hanser: München.
(Amazon|Verlagsseite)

Anmerkung zur Transparenz: Das Buch wurde dem Autor dieses Artikels vom Verlag kostenlos zur Rezension zur Verfügung gestellt. Die Meinung des Autors ist hiervon jedoch nicht beeinflusst.