Change als Wandel 1., 2. und 3. Ordnung

Change Vorhaben in Unternehmen können von unterschiedlicher Art sein. osb unterscheidet zwischen dem Wandel 1. Ordnung, 2. Ordnung und 3. Ordnung, die sich durch zunehmende Radikalität und damit zunehmenden “Schwierigkeitsgrad” für die Führung gekennzeichnet sind (osb 2013):

  • 1. Ordnung: Unter dem Wandel 1. Ordnung versteht man die kontinuierliche, permanente Evolution der Organisation. Diese findet auch ohne aktives Zutun kontinuierlich statt und verändert die Organisation ständig. (Wir werden auf diesen Aspekt später bei Changemodellen nochmals zurückkommen.) Man kann sich diese Ebene des Wandels am besten vorstellen, wenn man Organisationen als lebendige soziale Systeme konzeptionalisiert, die, wie Lebewesen, nur dann “am Leben bleiben”, wenn sie sich ständig verändern. So erneuern sich alle Zellen eines menschlichen Organismus ohne Zutun ca. alle 7 Jahre, obwohl von außen die Form weitestgehend gleich bleibt.
  • 2. Ordnung: Unter Wandel 2. Ordnung können Veränderungen im Rahmen vorgegebener Grundstrukturen verstanden werden, in denen grundlegende Strategien und Normen beibehalten werden und die Kultur weitestgehend unverändert bleibt. Die Optimierung der bisherigen Praxis (z.B. Process Reengineering oder Continuous Improvement Programs) oder ein episodisches Krisenmanagement, bei dem z.B. entsprechende Ertragssteigerungsprogramme oder Kostensenkungsprogramme durchgeführt werden, fallen unter diese Kategorie.
  • 3. Ordnung: Hierunter wird die radikale Neuausrichtung eines Unternehmens verstanden, bei dem mehrere Ebenen und Dimensionen gleichzeitig signifikanten Änderungen unterzogen werden, wie z.B. Strategische Ausrichtung, Organisationsstrukturen, Prozesse, … Diese kann als eine Vorausschauende Selbsterneuerung kontinuierlich durch einen gut funktionierenden Innovationsprozess, aber auch episodisch in Form einer Radikalen Transformation erfolgen.
    Die Einordnung kann helfen, die Radikalität eines Veränderungsvorhabens besser einzuordnen und damit Führungs- und Steuerungs-Instrumente gezielter einzusetzen.

VUCA und Change

Gerade die Veränderungen 3. Ordnung, aber auch bereits Wandel 2. Ordnung erfolgt in der Regel unter besonderen Rahmenbedingungen.

VUCA ist ein Begriff, der unter Militärstrategen der U.S. Streitkräfte bereits vor einigen Jahren entstanden ist, um spezielle Umfeldsituationen zu beschreiben, die sie nicht zuletzt im Afghanistan Krieg vorgefunden hatten und neue strategische und taktische Vorgehensweisen erforderten, um erfolgreich zu sein.

VUCA ist ein Akronym für die Begriffe Volatility, Uncertainty, Complexity und Ambiguity. (vgl. Horney, N. et al. 2010). Dies beschreibt auch sehr gut die Situation, in der man sich bei Change Vorgaben, besonders im Wandel 3. Ordnung, aber auch schon bei einfacheren Vorhaben wiederfindet:

  • Volatility: Das Umfeld, in dem Change Programme in der Regel ablaufen, lässt sich als sehr volatil beschreiben. So kann es immer wieder zu Veränderungen der Schwerpunkte und Veränderungsziele im Verlauf des Vorhabens kommen. Meinungen, Einschätzungen und Mehrheiten zu verschiednenen inhaltlichen Themen der Veränderung können häufig und radikal wechseln. So können z.B. der Betriebsrat oder auch die Eigentümer plötzlich und häufig den Fokus auf ein bestimmtes Thema lenken und so für Volatilität sorgen.
  • Uncertainty: Wie alle Vorhaben in lebendigen sozialen Systemen lässt sich die Situation auch bei Change Vorhaben als von hoher Ungewissheit geprägt beschreiben. So kann menschliches Handeln nicht vorhergesehen werden und Umfelddynamiken außerhald des eigenen Einflussbereichs können zur weiteren Ungewissheit beitragen. Im Militärischen wird auch vom “Schleier des Nebels der Ungewissheit” gesprochen, wenn nur Teile des Schlachtfelds erkundet sind oder aber die Erkundung bereits einige Zeit her ist.
  • Complexity: In Veränderungsvorhaben findet immer ein komplexes Zusammenspiel verschiedenster Ebenen und Teilnehmer statt. Mit zunehmender Radikalität sind Vertreter aller Unternehmensebenen mit unterschiedlichster Motivation und Zielsetzung in das Vorhaben eingebunden, wie Eigentümer, Betriebsrat, Vorstaände, Executives, Führungskräfte und Mitarbeiter. Hier spielt nicht nur die sichtbare, offizielle Struktur im Unternehmen, sondern auch verdeckte Beziehungsnetzwerke und Loyalitäten eine Rolle, die es zusätzlich zu beachten gilt. Ferner finden Veränderungsvorhaben in der Regel in einem komplexen Umfeld statt, in dem “am lebenden Organismus Unternehmen” bei fortgesetzter Produktion und eventuell hoher globaler Wettbewerbsintensität.
  • Ambiguity: Schließlich sind Veränderungsprozesse davon geprägt, dass es nicht “die” richtige Lösung gibt. Es stehen immer unterschiedlichste Umsetzungsmöglichkeiten zur Verfügung, was oft zu Meinungsverschiedenheiten und Konflikten im Projektverlauf führt. Auch tragen hierzu oft unklare und bewußt offen gehaltene Vorgaben des Managements bei, die vor diesem Hintergrund verständlich, die aber von den Betroffenen als belastend wahrgenommen werden.

Folgen für das Management von Change Prozessen

Aus den beschriebenen Eigenschaften von Veränderungsvorhaben lassen sich einige Folgen für das Management dieser Prozesse ableiten:

  • Einfache Lösungen, auch wenn sie noch so angenehm wären, sind in der Regel nicht möglich. Ashby’s Law beschreibt den Sachverhalt, dass Systeme, die in einer komplexen Umwelt überleben wollen, selbst an Komplexität zunehmen müssen, um erfolgreich zu sein. (“Only variety can deal with variety.”)
  • In VUCA Umfeldern sind weniger eine komplexe Detailplanung und “Patentrezepte” gefragt, auch wenn dies in der Change Praxis allzu oft gesucht und auch von außen angeboten wird. Jeder erfahrene Change Manager weiß jedoch, dass bis zu einem gewissen Grad ein iteratives und situatives Vorgehen besser zum Erfolg führt.
  • Versteht man Organisationen als lebendige soziale Systeme, so sollten die Eigenschaften der Selbstorganisation und Selbststeuerung dieser Systeme gezielt genutzt und in das Change Design eingebaut werden. Oft findet im Change Alltag doch genau dies nicht statt und Führungskräfte reagieren bei ersten vermeindlichen Schwierigkeiten oder Hindernissen mit einer aktiven Übersteuerung.
  • Ein situatives Vorgehen erfordert anstelle von Standardlösungen und -tools von den Akteueren eher ein Repertoire an “Metafähigkeiten und Metatools”, die zwar auf den ersten Blick oft als “abstrakt” und “theoretisch” abgetan werden, dann im Bedarfsfall gezielt auf die individuelle Situation angepasst angewendet werden können.
  • Beim Change Management handelt es sich vorrangig um ein Management von Subjektivität und Aufmerksamkeit sowie Lenkung der Fokussierung in Wahrnehmung und Handeln, anstelle von Wahrheit und Absolutheit. Steuerung kann in sozialen Systemen nur bedingt “technisch” verstanden werden.
  • Change Management bedarf ein ausreichendes (am besten theoriegeleitetes) Verständnis zur Entscheidung und Handlung von Einzelpersonen, Teams und Organisationen, sowie deren Zusammenspiel.
  • Schließlich erfordert Change Management in diesem Verständnis die Fähigkeit zu “antizipativen Reaktion” auf Unerwartetes, im Sinne der Achtsamkeit und Wachsamkeit.

Betrachtet man diese Aspekte in Gänze, erkennt man vielleicht das eine oder andere gescheiterte Change Projekt wieder, welches durch Beachtung dieser Aspekte besser oder leichter bearbeitbar gewesen wäre.

Ich freue mich auf Diskussionsbeiträge und Anregungen zu diesem Beitrag. Im nächsten Teil (Teil 3) werde ich Change Vorhaben als interne Innovationsvorhaben beleuchten.

Horney, Nick; Pasmore, Bill; O’Shea, Tom (2010): „Leadership Agility : A Business Imperative for a VUCA World“. In: People & Strategy. 33 (4), pp. 32–38.

osb (2013), Change Navigator, http://www.osb-i.com/sites/default/files/presse/osb_change_navigator_0.pdf, abgerufen am 24.11.2013.

Link: Teil 1: Übersicht Change Management Serie